Rabeneltern und ein weißer Van

Wer auf La Palma einen weißen Van fährt, „Typ IVECO“, aber halt nicht ganz sicher, dass es sich um ein solches Fahrzeug handelt, der sollte dringend zu Lackierer oder das Ding in der Garage lassen. Die Jagd ist nun offiziell eröffnet. Hintergrund ist eine Geschichte, die sich gestern zugetragen haben soll und nun heute über die Insel und über die Kanaren wabert. Spannend ist, dass es direkt vor unserer Haustür passiert sein soll. Also vorn an der Straße, wo der Bus hält. Und alle drehen durch. Heute Morgen ging das durch den Klassenchat der Tochter und ein wenig später auch durch die asozialen Kommunikationsgruppen in der Schule des Großen, der immerhin 16 Jahre auf dem jugendlichen Buckel hat. Es wurde berichtet, dass am Vortag eine versuchte Kindesentführung stattgefunden habe. 2 Kinder seien aus dem Schulbus gestiegen, woraufhin ein Mann, ca. 175 cm groß, ganz in schwarz, angehalten habe und mit einer Sturmhaube bedeckt den beiden Kindern, 8 und 11 Jahre Süßkram angeboten habe, um zu versuchen die Kleinen in das große, weiße Auto zu locken. So haben es die Kinder zuhause berichtet und so wurde die Geschichte auch später bei der Guardia Civil angezeigt. Kurz nach dem ersten Rumoren kursierte ein Foto der Anzeigenabschrift durch das Netz und alle, aber wirklich alle sind nun überzeugt, dass der Kinderentführer echt ist. Besorgte Eltern bieten uns an, dass Sie unsere Tochter, die auf Eigenständigkeit getrimmt den Bus benutz, immer bis vor die Haustür, wohl aber noch besser bis ins kindliche Zimmer bringen könnten, was wir Rabeneltern dankend abgelehnt haben. Mittlerweile haben auch Teil der insularen „Presse“, El Time und TV-La Palma, (die Anführungszeichen sollten fett sein), sich des Themas angenommen, und das Foto der Abschrift gedruckt und den Inhalt im dazugehörigen Text auch noch mal wiederholt. In den entsprechenden Leserkommentaren platzt es prompt aus den einzelnen heraus, dass der Sanchez entweder die kriminellen Migranten reinlässt, oder man den Kerl für immer wegsperren sollte. Andere sind der Ansicht, dass das wegsperren gar nicht nötig sei, man plane den Verbrecher selbst in die Finger zu bekommen. Jetzt geht es uns so, dass wir das alles nicht glauben wollen. Auch weil wir hier schon, aufgrund der Tatsache, dass unser Nachwuchs alleine mit dem Bus fährt, als Rabeneltern gelten und diese Art von Hysterie immer wieder auftaucht, schließlich habe man da eine ganz schlimme Geschichte vom Festland gehört. Ich mag ja gar nicht bestreiten, dass es auf der Welt Arschlöcher gibt, aber meine Kinder sind so klug, sich nicht vor Angst zu kramen und sicher auch klug genug in der entsprechenden Situation dann nicht tünselig zu reagieren. Außerdem, welches Kind lässt sich den ernsthaft von einem Maskierten ganz in Schwarz mit Süßigkeiten in ein Auto locken. Entweder der maskierte Mann schnappt sich die hilflosen Kinder oder aber der vertrauensvolle Schokoladenonkel wickelt die um den Finger. Die Kombination wirkt dann eben doch recht amateurhaft. Aber es gibt ja da Foto von der Anzeige, und die Presse, halt, ich habe die Anführungszeichen vergessen! Also nochmal: Die „Presse“ hat das ja auch abgedruckt. Dann muss da auch was dran sein. Und da muss man dann halt weitersuchen und trifft auf einen Artikel von „SER“ zum Thema. Und der Journalist hat sich doch tatsächlich die Mühe gemacht, mal bei der Polizei anzufragen, was den da los sei. Und siehe da, die Polizei untersucht zwar, was da los sei, sieht aber keine konkreten Anzeichen für das angezeigte Delikt. Die einzigen Zeugen sind die beiden Kinder 8 und 11 Jahre alt, und obwohl das Geschehen am hellen Mittag auf der meistbefahrenen Straße der Insel, der LP3 zwischen Los Llanos und El Paso passiert sein soll, gibt es bislang niemanden, der das bestätigen könnte. Über den Journalisten lässt die Guardia CIvil sogar mitteilen, dass man „verpflichtet sei, alle von Bürgern im Rahmen ihrer Rechte gemeldeten Vorfälle glaubwürdig zu behandeln und zu untersuchen. In diesem wie in anderen Fällen erfülle die Polizei ihre Aufgabe.“ Mann geht aber noch weiter und teilt mit, dass es keinen Grund gebe in irgendeiner Form besorgt zu sein, es gebe bislang keinerlei Beweise. Man mahnt ausdrücklich zur Ruhe. Vielmehr bemängelt man, dass ein Teil dieses Berichts, an die Öffentlichkeit gelangt sei, und man damit dafür gesorgt habe, dass sich die Menschen nun Sorgen machen würden. Die Guardia Civil betont außerdem, wie wichtig es sei, Informationen über die offiziellen Kommunikationskanäle der Behörden und über die Medien zu beziehen und Internetmeldungen keinen Glauben schenken. Blöd halt, wenn die lokale „Presse“ den Scheiß aus den Chatgruppen selbst einfach abdruckt. Meine Tochter fährt morgen wieder mit dem Bus, und wir werden dann nun noch schiefer angeschaut werden, weil wir unseren Nachwuchs der Gefahr feilbieten. Aber nochmal, im Bericht von SER steht, unter Bezug auf Informationen der Guardia Civil, dass ausdrücklich nicht wegen einer versuchten Entführung ermittelt werden würde, man untersuche lediglich, was da passiert sein könnte. Auch wenn die Empörungswelle und die Artikel der lokalen „Presse“ was anderes vermuten lassen.