Bücherbau (und Feiern) kurz vor und nach dem Vulkanausbruch

Gastbeitrag von Claudia Gehrke / Konkursbuchverlag

10 Jahre nach dem Teneguia-Ausbruch kam ich das erste Mal nach Palma. Es ließ sich (1981) noch Papier in kleinen Öffnungen im Krater anzünden. Ein paar Jahre später, 1985, erschien unser erstes zweisprachiges La Palma-Buch, das erste überhaupt (bis dahin war die Insel nur ein kurzes Kapitel in einem Kanarenreiseführer.) Am Strand von Puerto Naos stand das Gerippe des Vorgängerprojekts vom Hotel Sol, das irgendwann gesprengt wurde – ein Spektakel. Ich hatte ein Foto davon. Das liegt inzwischen 17 Meter unter der Lava.

Im Sommer 2021 arbeiteten wir in der Calle El Frontón 7 an einem neuen zweisprachigen La Palma Buch, einer literarischen Reise durch die Insel. Ich machte mir unter anderem Gedanken über Wolken in einem Text. Ein Wort für eine besondere Wolke gibt es nur auf La Palma. Altes Haus und Garten waren mein und des Verlags (es gehörte einem der Autoren) Zweitwohnsitz seit 1985 (unversichert), darin viel Historisches wie die Originalmanuskripte einer heute bekannten Autorin aus vordigitalen Zeiten. Die endgültige Druckvorlage erstellte ich nach meinem Rückflug in Deutschland. Das Buch ging quasi am Tag des Vulkanausbruchs in Druck. Darin Poesie, Erzählungen, Kunst, historische Fotos und vergnüglich zu lesende Alltagsbeobachtungen reisender und palmerischer Menschen. Den Text von Wulf Göbel über die „Gesten“ in Bars haben wir schon oft auf literarischen Abenden vorgelesen. Neulich war ich in der Tankstelle bei Fuencaliente und wartet auf „Essen zum Mitnehmen“ (ich bin diesmal abgelegen zw. Fuencaliente und Mazo untergekommen). In der Location waren zu dem Zeitpunkt außer mir nur Männer, draußen stand eine Reihe großer Kipplaster (die wären eine Freude für meinen kleinen Großneffen gewesen) und eine Gruppe der Lastwagenfahrer, die Asche bewegen, saß um einen Tisch und spielte Domino (oder was anderes). Ich verstand bei dem Geräuschpegel nichts – aber ihre Gesten konnte ich (dank des Texts im Lesebuch) „lesen“ und freute mich, dass es sie noch gibt, nach langer Zeit Coronaabstand. Einen zweiten Text haben wir ebenso oft vorgelesen: ein Wanderer aus Heidelberg am Ende der Vulkanroute (die man z.Z. nicht gehen kann, dort weht das Gas aus dem neuen Vulkan), wird in der Gegend, in der es hinuntergeht nach Fuencaliente, von Feiernden zu einem Gläschen Wein – solo una copita! –  eingeladen. Eigentlich darf er keinen Alkohol trinken und Spanisch spricht er auch nicht …  Ein anderer Text handelt von Schwaben auf der Insel, die Schwierigkeiten beim Bezahlen einer gemeinsamen Rechnung haben, oder (von Mathias Siebold) erzählt aus den Zeiten der Kneipe von Manolo in Puerto Naos, wo alles mehr oder weniger 5000 Peseten kostete und über die surreale Leere des Strands in den Lockdownmonaten 2020. Keiner ahnte, dass sich diese Leere nach dem 19.9.2021 wieder ausbreiten würde, und keiner weiß, wie lange noch. Literarisches La Palma Lesebuch / Libro de viajes literarios – Hg. Simone Eigen und Claudia Gehrke, 520 Seiten (durch die Zweisprachigkeit so viele, wir haben ein angenehm dünnes Papier genommen, sodass das Buch nicht unschön kartonartig wurde, gebunden mit Leseband (ISBN 978-3-88769-647-4)

Das Buch erschien mitten im Vulkanausbruch. Noch vor und gleich nachdem der Vulkanausbruch für beendet erklärt wurde, erreichten mich einige Vulkanbuchvorschläge. Ich hatte Widerstände. Natürlich las ich während der Zeit des Ausbruchs gierig, süchtig, verzweifelt alle Blogs (gerne las ich auch diese Newsseite oder die Berichte von Mathias Siebold). Ich las El Diario, El Time etc. Ich klickte mich immer wieder zu Höllenfeuerstromvideos, hinter denen unsere tapferen alten Lavasteinmauern des Hauses noch einige Zeit zu sehen waren, auch die größte der Palmen widerstand lange. Die Nachbarn waren am Tag des Ausbruchs (ca. 300-400 m. entfernt von uns), mit nichts als dem, was sie anhatten, geflohen, sie konnten nicht zurück., noch etwas aus den Häusern zu holen, da sie zu nahe an der ersten Eruptionsstelle lagen)

Aber jetzt, danach? Möchte ich einige der langen Blogs gesammelt noch einmal lesen?  Ich dachte: nein, kein Vulkanbuch. Dann erreichte mich überraschend ein Buchmanuskript, das mich doch mitriss: „Lavasteinzeit“ von Gudrun Bleyhl. Und gleich ein zweites, poetisch dicht, ganz anders geschrieben: „Diario de un volcán / Tagebuch eines Vulkans“ (woraus ich Teile schon während des Ausbruchs in „ElDiario“ gelesen hatte) von Lucía Rosa González aus dem begrabenen Ort Todoque. Die Geschehnisse, die Bedrohungsgefühle, die Faszination und der Schmerz über das Verlorene poetisch und dicht wiedergegeben. Der Text erzeugt eindringliche innere Bilder beim Lesen. (zweisprachig, kommt bald, ISBN 978-3-88769-662-7)

Gudrun Bleyhl erzählt den Ablauf des Ausbruchs, so wie er für sie war, mit allen „alltäglichen“ Begleiterscheinungen. Ihr Buch las ich trotz des Düsteren und Furchtbaren dieses Naturereignisses mit –  wie soll ich sagen –  unterhaltsamer Spannung. Das Ganze lässt sich noch einmal miterleben – oder nachempfinden: Auch andere Leserinnen, die das Vulkanereignis nicht betraf, eine kannte La Palma gar nicht, lasen das Manuskript gerne und ermutigten mich, das Buch zu verlegen. Gudrun Bleyhl ist Journalistin von Beruf und lebt direkt an der Evakuierungsgrenze, dort, wo immer das TV stand. Ans Ende jedes persönlich geschilderten Abschnitts des Ausbruchs stellte sie knapp sachliche und wissenschaftliche Informationen aus der jeweiligen Phase und unterbricht (auch diese Teile las ich nach anfänglicher Skepsis mit Spannung) mit einer Art Autobiografie über ihre Zeit auf der Insel und über Menschen, die sie hier kennengelernt hat. Auswandern und einen tollen Job aufgeben der Liebe wegen, verschiedene Arbeiten, um sich auf der Insel über Wasser zu halten, das Feeling am Playa Nueva Strand, als die Häuschen noch standen und so weiter. Es liest sich leicht, es zieht einen hindurch. Wieder entschlossen wir uns für eine zweisprachige Ausgabe. Es kamen viele Fotos hinzu, die meisten von der Autorin und von Facundo Cabrera, einem Fotografen, der bekannt dafür ist, dass er die kleinen Dinge der Insel durch eine besondere Vergrößerungstechnik in überraschend schöne Bilder verzaubert. Pflanzensamen zum Beispiel oder die Vulkanasche.

Dieser Vulkanausbruch ist so viel fotografiert und gefilmt und beobachtet worden (auch mit Drohnen ganz aus der Nähe) wie kein Vulkanausbruch je zuvor. Sicher erscheinen noch einige Bücher mit aufregenden Bildern. Die Bilder in Gudruns Buch sind auch eine Geschichte, in einem erzählerischen Ablauf aufgebaut. Und es gibt dazu eine Auswahl Bilder von den vielen anderen Seiten der Insel.  (Gudrun Bleyhl, Lavasteinzeit / Edad de lava, frisch aus der Druckerei, ISBN 978-3-88769-661-0). Als unser Mailordermann das erste Buch in der Hand hatte, fragte er: „Das Papier wirkt irgendwie anders als sonst. Es sieht teils aus wie mit Asche bestäubt.“ Das ist kein Fehler. Auf den spanischsprachigen Seiten hatten wir absichtlich etwas Farbe im Hintergrund angelegt, damit beim Blättern optisch gleich erkennbar wird: auf den ungeraden Seitenzahlen läuft der deutsche Text, links auf den geraden der spanische. Im Bildschirm war die Differenz deutlich, im Druck kommt sie zu zart … Mein Mailorder- Verlagskompagnon gehört scheinbar zu denen, die bei Büchern immer erst auf die linke Seite schauen; er hatte die Differenz zuerst gar nicht bemerkt, dachte wir hätten insgesamt diesmal ein zart graues Papier genommen. Aber die Assoziation passt: mit Asche bestäubt ist noch vieles.

In diesen Tagen haben wir wieder zweisprachige Leseabende auf der Insel organisiert. Letzten Freitag in dem schönen Saal der Real Sociedad Cosmológica – der Bibliothek in Santa Cruz. Der Name der Gesellschaft geht auf Humboldts „Cosmos“ zurück. Als ersten Text las José Antonio Martín aus dem „Literarischen Lesebuch“ eine Erzählung über einen Mann, der gegen seinen Willen gezwungen wurde, als Soldat zu kämpfen und schließlich als „wahnsinnig“ mit anderen Kriegsverletzten zurück nach La Palma verfrachtet wird: ein Antikriegstext. Mit dem furchtbaren Angriffskrieg gegen die Ukraine hat in Europa offensichtlich keiner gerechnet, er beschäftigt alle, und bei allem, was ich im Moment organisiere, denke ich auch daran. Mit dem Vulkanausbruch haben Wissenschaftler gerechnet. Doch keiner ahnte vorher, dass der Vulkan schon in den ersten Tagen mehr Lava ausstoßen würde als der Teneguia in seiner ganzen Zeit, und insgesamt mehr als alle historisch aufgezeichneten Ausbrüche auf La Palma zuvor. Und niemand rechnete damit, wie viele Häuser, Plantagen, Gärten, Lebensgrundlagen er zerstören würde.

Freitag (morgen) Nachmittag, am 1. April ab 15 Uhr findet unser Event – Lesungen, Live-Musik – in der Finca La Principal (in Breña Alta) noch einmal statt, vor deren eigentlichem Freitagsprogramm. Musikalisch begleiten uns Pedro und Iosune von „Flamenco Entre Amigos“. Lesen wird u.a. Lucía Rosa Gonzalez aus ihrem Vulkanbuch und Gedichte aus dem literarischen Lesebuch. Ihre Gedichte machen die „Essenz der Insel“ spürbar. Inés Dietrich wird ihren Reiseführer durch 12 Monate vorstellen, der in der deutschsprachigen Ausgabe: „Geheimnisse der Insel La Palma“, und in der spanischsprachigen „Vive La Palma“ heißt, und in dem es viel um Pflanzen geht. Etwas Gutes habe die Asche, sagte mir der Autor Corujo. Nicht weil, was das gängige Gerücht ist, sie düngt, sondern weil sie „plagas“ verhindert hat, die Pflanzenschädlinge – darum sind viele Bäume in diesem Jahr besonders brechend voll mit Früchten und Blüten: Más fuerte que el volcán! Und am Schluss werden wir (trotz Corona, Vulkan und trotz des schrecklichen Kriegs) auch wieder die Geschichte (und ein Gedicht eines klassischen palmerischen Autors) zum Thema Wein vorlesen: denn anschließend möchte ich einladen, auf unseren 44. Verlagsgeburtstag anzustoßen, denn genau am 1.4. 1978 haben wir uns gegründet und am 1.4.22 werden wir 44.