Gastbeitrag von Mathias Siebold
El Paso, 19:30 Uhr – Westseite – 540 m Höhe
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Höchsttemperatur heute: 21,4 Grad – niedrigste Temperatur: 12,2 Grad
Große Dinge tun sich auf unserer kleinen Insel. – Was vor Jahren mal als Aprilscherz daherkam, kratzt nun an der Realität. Bald könnten einem Leonardo di Caprio, Renee Zellweger, Al Pacino oder Anthony Hopkins beim Gofio-Shopping in Santa Cruz den Einkaufswagen in die Hacken rammen. George Clooney sowieso, allerdings bettet der sein Haupt nicht in einem Leuchtturm, wie die anderen Stars, sondern der smarte Kaffeetrinker wird wohl in Tazacorte seine Tage verbringen. – Das wollten wir doch immer schon, raus aus dem Alltagsschmuddel mit K-Promis der Prekariatsauswanderungswelle aus Hartzhausen, hin zu Hollywood und dessen Symbole und Idole. – Zwischenzeitlich hatten wir das ja mal mit wissenschaftlichen Größen wie Stefan Hawking oder Alexei Leonov versucht, und denen einen „Walk of Stars“ (Paseo de las Estrellas) in unserer Hauptstadt vor die Füße gelegt, allerdings war das kein richtig nachhaltiges Projekt. – Beide Stars sind inzwischen zu Schnuppen geworden. Das ist übrigens in keiner Weise abfällig gemeint, ganz im Gegenteil, ich verehre solche Leute wie Hawking viel mehr, als die der mimischen Kunst, allerdings fand ich das mit dem „Walk of Stars“ im Fall Stephan von Anfang an ein bisschen geschmacklos. – Allerdings müssen wir das wohl auch so sehen, Leonardo di Caprio ist sicherlich eher dazu in der Lage, Leute und Rum nach La Palma zu locken als Alexei Leonov oder andere Größen der astralen Zunft. – Vom rein praktischen Standpunkt aus muss man das betrachten und da sind die Schauspieler aus Hollywood sicherlich die effektiveren Werbeträger, als Weltraumspaziergänger.
Allerdings brauchten wir auch erst wieder ein paar Deutsche, um solche Hollywood-Größen auf die Insel locken zu können, denn das Ganze geschieht im leuchtenden Rahmen unseres einzigen Leuchtturmhotels auf der Insel. – Die Floatel GmbH aus Berlin hat seit ein paar Monaten den Leuchtturm von Barlovento wieder in Betrieb genommen, allerdings leuchten dort inzwischen Nachttischlampen und Lüster, denn aus dem, einst mächtigen Seezeichen, ist ein schmuckes Hotel geworden. – Ein „Hideaway“ wie es in der Eigenwerbung heißt und in der Tat, ich kann jedem versprechen, da unten, an der rauen Nordostküste der Insel La Palma, dort kann man sich prima verstecken. – Vor wem auch immer. – Und diese pfiffigen Leuchtturmhoteliers haben nun alle Oscar-Nominierten zu einem Kurzaufenthalt auf La Palma eingeladen und wie uns die lokale Presse zusäuselt, sollen auch bereits ein paar Sterne und Sternchen zugesagt habe. – So ganz genau nun wer, wann und wo man die dann auch zu Fassen bekommt, das ist natürlich geheim. Allerdings können wir natürlich damit rechnen, dass das Ganze stabil zeitnah nach der Oscar-Verleihung stattfinden sollte. – Also, besser kann das gar nicht laufen, hoffen wir mal, dass reichlich dieser prämierten Oscars auf die Insel kommen und so unseren Instagram-Value um einiges in die Höhe katapultieren.
Wer nun gut aufgepasst hat, der wird sich fragen, was macht denn George Clooney in der Aufstellung der möglichen Besucher? – Der kommt nicht, weil er wieder auf einen Oscar aus ist, noch nicht, sondern er will hier Szenen seinen neuen Film „Good Morning, Midnight“ in den Kasten bringen. – Für Februar ist das avisiert und unterstreicht damit den Bekanntheitsgrad unserer Insel in Sachen Film. – Herausragendes Ereignis dabei wohl die Szenen für „The Witcher“, welche La Palma als düsteren Hintergrund für so viele Einstellungen ins Licht gerückt haben. – Meist hat zwar der Computer noch viel hinzugepixelt, aber wer genau hinsieht, der weiß schon, wo diese Szenen auf der Insel gedreht wurden. – Und wie es scheint, erinnern sich, nicht nur die Leute von Netflix an die herausragenden Landschaften La Palmas und an die Professionalität der hiesigen Firmen, welche bereits einiges an Erfahrungen mit internationalen Produktionen erlernen konnten. – So gelangt man halt in die, immer noch neu genannten Medien der Smartphone-Klasse und so manch einen „Instagramer“ auf Locations-Jagd hat man auch bereits auf der Insel gesichtet. – Ich glaube ja nun nicht, die Leute müssten bald Nummern ziehen, um die eine odere andere Felsnadel im Abendglühen richtig einfangen zu können, aber dem touristischen Gesamtbild La Palmas tut das schon gut. Steht doch dabei immer auch unsere Natur und unsere einzigartigen Landschaften im Focus der Betrachter. – Warum das so wichtig scheint, ist auch klar, La Palma muss sich mit Alleinstellungsmerkmalen als eigenständige Marke etablieren und darf eben nicht im „kanarischen Einheitsbrei“ von Sonne und Strand mitgespült werden.
Das läuft also ganz gut, aber um auch zukünftig den Tourismus als stetige Einkunftsquelle für das „Bruttoinselprodukt“ auf der Liste haben zu können, müssen wir weiter und gut erreichbar sein. – Natürlich spielt auch inzwischen die Flugscham eine gewisse Rolle, allerdings muss man ganz klar differenzieren und mal nachfragen, ob nicht kurzzeitige Städtereisen und Wochenendtrips da viel eher kritisierbar sind, als vierzehntägige Urlaubsaufenthalte in der Mittelstrecke. – Ein bisschen Greta reist ja seit längerer Zeit immer schon mit und das lässt sich auch gar nicht wegdiskutieren. – Allerdings brauchen wir uns eh keine Gedanken mehr über eine touristische Zukunft zu machen, wenn wir nur noch mit dem Segelboot erreichbar wären. Als Insel mitten im Atlantik wären wir so ziemlich aufgeschmissen. – Wir haben da keine Alternative und sicherlich ist Greta auch nicht der Feind des palmerischen Tourismus, das verstehen viele nicht wirklich richtig. – Vielmehr hat uns auch die vergangenen Jahre das Geschacher um billig und geizig sehr geschadet, da nun langsam die seriösen Fluggesellschaften und Reiseveranstalter nicht mehr funktionieren. Ich darf nur immer wieder daran erinnern, vor 25 Jahren bin ich das letzte Mal aus Deutschland nach La Palma geflogen, mit der LTU aus München, und da kostete das Ticket 400,- Deutsche Mark. – Nicht hin und zurück, sondern nur ein Weg. – Das wären also 200,- Euro vor einem viertel Jahrhundert und heute fangen viele bereits bei einem solchen Preis an die Geiznase zu rümpfen. Es haben ihnen ja Sonderangebote vorgegaukelt, dass man eigentlich billiger fliegen müsste. – Da liegt viel umweltbelastendes Material herum, Geiz und Schnäppchen sind wahre Klimakiller, man kann das ohne weiteres auf fast alle Branchen ausweiten, aber oft steht ja die unberührbare eigene Nase am allermeisten im Weg.
Wir, also La Palma, ist ja bereits schwer erfahren im Abarbeiten gescheiterter Fluglinien und so war die Drohung mit der Condor, nur ein weiterer Schritt in der Gewissheit, nichts bleibt wie es ist. – Allerdings rechnete man uns ja vor, dass die Condor durchaus „rettungswert“ sei und sicherlich kommt auch noch mit hinzu, dass man, mitten in der bereits patriotisch geführten Brexit-Peinologie sicher nicht wollte, dass ein, ehemaliger deutscher Staatsgeier durch einen britischen Cook zum Absturz gebracht wird. – Sicher war es auch so möglich, einen anderen Schritt zu wählen, als noch bei der Air Berlin oder der Germania und nun kommt plötzlich auch wieder Tempelhof mit in Spiel. Falls sich noch jemand an die Überschrift erinnert. LOT nannten wir früher: Landet Oft in Tempelhof. – Das stammt noch aus der Zeit, als Berlin noch aus Sicherheitsgründen eingemauert war und es fast schon zur monatlichen Schlagzeile der Presse aus der Kochstraße reichte, wenn wieder eine Tupolew aus Warschau mit den Buchstaben LOT an der Seite in Tempelhof gelandet war. – Entführt von Bürgern des, damals noch im „Comecon“ vereinten Staaten, welche auf der Suche nach Freiheit, billigen Bananen oder anderen Versuchungen der, damals noch „Freien Welt“ genannten Ländern, waren. – Die haben als polnische Staatslinie sogar überlebt, und nun, Jahrzehnte nachdem in Polen längst wieder Nationalisten regieren, nun allerdings rechtsgedrehte, kauft der einstige Skandalflieger mit Umsteigen in Tempelhof den ehemaligen Ferienflieger der Lufthansa.
Ich habe generell nichts gegen Staatsfirmen, kommt halt immer ein bisschen darauf an, wer denn da den Staat macht und irgendwie finde ich es schon beunruhigend, wenn sich der starke Arm des Landes ausgerechnet Pis-Partei nennt. – Aber das ist nur Symbolik, solvent sind die allemal und vielleicht muss man das Ganze besser überhaupt nicht politisch sehen, schon gar nicht als späte Reparationszahlung. – Das könnte nämlich auch nach hinten losgehen, denn zunächst muss der Condor ja wieder aufgepäppelt werden und hier auf La Palma darf man sich auch nicht zu früh freuen, da noch niemand so genau die künftige Firmenstrategie der „Tempelhofer Firma“ kennt. – Es bleibt zu hoffen, stark zu hoffen, dass La Palma weiter in die Strategie einer, wie auch immer dann agierenden Condor passt. – Gerade eben als Charter-Flieger, welcher den, für uns weiterhin wichtigen Sektor des Pakettourismus über Reiseveranstalter bedient. – Es wäre zu früh, alles der TUI zu überlassen und ganz so weit, wie manch aufmerksamer Beobachter der Branche bereits auguriert hat, die Zeit der Pauschalreisen sei bereits vorbei, ganz so weit sind wir dann doch noch nicht. – Natürlich ist die Übernahme der Condor durch die LOT – PGL eine hoffnungsvolle Nachricht, und es ist sehr wahrscheinlich, dass sich das auch für La Palma zu einer guten Nachricht entwickelt. – Auf jeden Fall gibt es jetzt keinen Grund mehr zu warten, mit der Buchung der Condor-Tickets und es wird sich wohl erst im Lauf des Frühlings und Sommers zeigen, in welche Richtung zukünftig die Leitung der Condor steuern wird.
Hier bleibt weiter die Dürre auf der Westseite großes Thema, aber ich habe ja schon so viel darüber geschrieben, dass ich nun mal inne halten werde. – Wir nähern uns ja schon wieder dem Karneval und da gibt es eine, zumindest gesellschaftliche Neuigkeit: Ein Kerl möchte auch mal Karnevalskönigin werden! Das ist doch was für mich, Traditionen crashen, so etwas bereitet mir Freude, weil ich immer noch glaube, dass vieles, was unter dem gammeligen Sammelbegriff Tradition läuft, uns ganz oft davon abhält, wirklich ein Stück weiter zu kommen. – Es geht also um die berühmte Gala in Los Llanos, auf der, bislang immer junge Frauen, Extremgewänder vorgeführt haben, welche mehr geschoben, gezogen und gehoben werden mussten, als getragen. – Nun war ja jetzt Jahr bereits ein Junge im Festtagskleid bei der Wahl der „Mini-Königinnen“ dran und nun wagt sich ein Kerl auf die große Bühne und wird am 14. Februar zwischen wild geschminkten Damen seinen Mann stehen. – Wer nun aufmerksam bis vorsichtig unsere Inselpresse verfolgt der wird feststellen, dass man sich wohl generell auf einen verbalen Passus geeinigt hat, der nicht darauf erpicht ist, da irgendwie einen Tabubruch basteln zu wollen. – Es heißt jetzt nicht mehr, Wahl der Karnevalskönigin, sondern Gala für die schönsten Fantasien und mit der Fantasie sind die Kleider gemeint, an welche viele Designer und Nachbarschaften bereits seit vielen Monaten basteln. – Also Traditionsbruch in dem man Traditionen einfach umbenennt und hier trifft man wieder auf die wunderbare Fähigkeit des Pragmatismus, welcher uns wohl einfach mal geschenkt wurde.
Anders herum, also nach Geschlechterrolle geordnet, findet das dieses Jahr in Santa Cruz statt. – Hier tanzen 2 Frauen zum ersten Mal überhaupt als Zwergen den Tanz ihres Lebens, nachdem die „Enanos“ bislang und seit Jahrhunderten immer nur von Männern belebt und dargestellt wurden. – Kenner wissen nun schon, es ist wieder ein „Bajada-Jahr“ und tatsächlich findet diesen Sommer in Santa Cruz de La Palma die nur alle 5 Jahre stattfindende „Niederkunft der Heiligen Jungfrau aus Las Nieves“ statt. – Die Heilige Jungfrau vom Schnee wäre nicht ganz richtig, denn der Name stammt nicht vom Aggregatszustand des Wassers, sondern von der Wallfahrtskapelle Las Nieves oberhalb der Hauptstadt Santa Cruz. – Das Fest überhaupt auf der Insel und mit einem Rahmenprogramm, welches sicherlich aus diesem mehr als platzt und mal sehen, ob wir von außen dann erkennen, in welchem Zwerg beim Tanzen denn eine Frau steckt und in welchem, wie sonst immer, ein Kerl. – Und die Zwerge werden in diesen Jahr auch in Los Llanos tanzen und das ist auch ein Novum. Bislang wurde der Zwergentanz noch niemals als Bestandteil der Bajada de la Virgen de Las Nieves außerhalb der Hauptstadt getanzt. – Früher, als alles anders war, und nur ein paar Dinge besser, da führte man diesen Zwergentanz wohl auch außerhalb der Hauptstadt auf, kam dieses Spektakel doch erst später in den Rahmen jungfräulicher Begleiterscheinungen. – Auch das ist ein gewisser Traditionsbruch, gleich zweimal, Frauen tanzen den Zwergentanz und dann auch noch auf der „falschen“ Inselseite. – Als Ausgleich allerdings bekommt die Hauptstadt dafür das, seit ein paar Jahren stattfindenden „Love-Festival“. Dort treten hoch bezahlte und wohlbekannte Künstler aus dem Latino-Pop auf und vor allem werden dabei Regenbogenfahnen hoch halten. – Dieses Spektakel wurde bislang im ungenutzten Hafen von Puerto de Tazacorte aufgeführt und gilt als eine der größten Gay-Parties und Steuergeldergräber der Kanaren gleichzeitig. – Da Frauen als Zwerge nun auch in Los Llanos tanzen, rocken Schwule in der Hauptstadt und Könige der Nacht werden Königinnen. – Wenn man das dann dreimal so gemacht hat, dann wird das von uns bereits zur Tradition verklärt und ich stelle mir den Skandal bereits vor: 2026 im Karneval von Los Llanos, eine Frau wird Karnevalskönigin und alle raufen sich den Kopf, wie konnte das denn nur passieren.
Und irgendwie auch bereits Tradition, die Samstage auf der Insel, an denen man sich trifft, um den „Rabo de Gato“ auszureißen. – Keine Angst, es geht hier nicht um Tierquälerei, sondern man nennt hier das Lampenputzgras, Pennisetum setaceum, halt Katzenschwanz. – Und den gilt es auszureißen, stellt dieses Gräschen doch als, vor nun bereits Jahrzehnten eingeschleppter Neophyt, inzwischen eine drastische Gefahr für die heimische Flora und damit auch Fauna dar. – Auch die Behörden arbeiten mit Personal bereits an der Heimatfront und versuchen dieses lästige Gras wieder von der Insel zu verbannen, aber ohne private, also nachbarschaftliche Hilfe, wird das wohl nichts werden. – Deswegen ruft das „Kollektiv Sin Rabo de Gato“ alle paar Wochen zum gemeinsamen Lampenputzerputzen und trifft sich dafür an herausragenden Stellen. – Wer der spanischen Sprache nicht mächtig ist, der lässt sich von mir sagen: Treffpunkt Parkplatz des Besucherzentrum des Vulkan San Antonia an der Südspitze der Insel, am Samstag den 1. Februar um Nullneunhundert. – Rustikale Kleidung mitbringen, Sonnenhut, Wasser, Brotzeit und Lust und Wille, ein paar Stunden seines Lebens für die Erhaltung der fragilen Landschaft dieser Insel zu rackern.