Gastbeitrag von Mathias Siebold
Donnerstag, 12.03.2020 – 12:00 Uhr – El Paso – Westseite – 540 m Höhe
Höchsttemperatur gestern: 26,4 Grad – niedrigste Temperatur: 18,6 Grad
Sarkasmus ist die Poesie der Verzweifelten, Zynismus die Kapitulation. – Es ist oft nicht leicht, da immer den feinen Grat entlang zu schreiben. Auch mir ist es in den, nun fast 20 Jahren Schreiberling, ganz oft passiert, dass ich da irgendwann auf der dunklen Seite der Verzweiflung gelandet bin. – Wer jetzt nur den Lagerbestand an Klopapier oder Billignudeln auf La Palma abfragen will, der sollte gleich wegklicken. – Hamstern ist was für, moralisch höchst debile Zeitgenossen, heißt das doch nichts anderes, als Dinge für sich zu horten, damit Andere das nicht bekommen. – Ich habe das auch schon gemacht. Früher, als immer nur 6 Gläser Rollmöpse auf der Insel gelandet sind, meist als Falschlieferung und ich dann gleich alle 6 Gläser gekauft habe. Nur so war zu verhindern, dass mir meine, teutonisch anverwandten residenten Mitbewohner auf der Insel der Glückseligen, nicht alle diese sauren Delikatessen weggeschnappt haben. – Das System ist das gleiche, das Ergebnis letztendlich auch. – Entweder habe ich mit den Magen an so viel Sauerfisch verdorben, oder das Zeug ist mir im Kühlschrank noch vergammelt, weil ich keine Lust mehr hatte, den gewickelten Bismarck andauernd zu essen. – In einem halben Jahr wird der Markt für Klopapier und Billignudeln zusammenbrechen, da keiner mehr diese Produkte kauft, weil die Speisekammern voll davon sind. – Ich hoffe, das entpuppt sich im Laufe der Monate als Sarkasmus und nicht als Zynismus…
Auf La Palma sind mir Panikkäufe in den letzten Wochen nicht aufgefallen. – Mag auch damit zusammenhängen, weil wir, Stand heute, immer noch republikanisch sind. – Corona heißt Krone auf Spanisch und die Wortspiele und Witze sind reichlich, welche darum verfasst und geteilt werden. – Zynische Gemüter behaupten ja, auch hier gäbe es längst solche Fälle, man würde das nur nicht an die Presse weitergeben. – Sollten sich der Virus hier auch schon breit gemacht haben, dann könnte es eher sein, dass wir das gar nicht mitbekommen haben. – Bewusst verheimlichen lässt sich so etwas nicht, auch hier nicht, auf unserem kleinen Inselchen. – Sarkastische Gemüter behaupten hingegen, unser Atemsystem sei nach dem vielen Calima eh nicht mehr aufnahmefähig für königliche Viren und wie sagt meine Lieblingskassierin im Supermarkt immer: Wir bekommen das eh nicht, weil wir Bier trinken und Gofio essen. Das ist natürlich derber Bauernhumor und genau so glaubhaft, wie heute deutliche Aussagen darüber, was nun in den kommenden Monaten passieren wird. – Ansonsten bemüht man sich um Alltag, auch wenn jetzt gerade die allermeisten Veranstaltungen abgesagt wurden. Selbst Carneval und Fußball, dass ich das noch erleben darf… Auf Gran Canaria hat man nun zu einem interessanten Trick gegriffen, in Sachen belasteter Urlaubsgäste. – Wer auf Covid-19 positiv getestet wird, soll, nicht wie bislang, in Hotels interniert werden, sondern in einer Anlage mit einzelnen Bungalows untergebracht werden, welche gerade zur Renovierung anstand und so verfügbar ist. – Das würde Quarantäne genau so ermöglichen, wie eben die effiziente Betreuung der Urlauber durch medizinisches Personal. — Allerdings bezweifle ich ganz einfach mal, dass diese Anlage große Auslastung erreichen wird, irgendwie lässt sich ausgedehnte Kurzarbeit, sehr kurz, in fast allen Bereichen des Tourismus ohne großen Mut voraussagen. – Noch gibt es keine „echten“ Entlassungen, aber viele Hotels verlängern Arbeitsverträge nicht und lassen Probezeiten einfach auslaufen. – Die Frage ist und bleibt, wie lange das geht und wer in der Lage ist, aus Krisen die richtigen Schlüsse zu ziehen und sich gewandelten Strukturen am schnellsten wieder neu anzupassen. – Schwierige Zeiten schleppen in ihren Satteltaschen auch immer Chancen mit sich und gerade auf einem solch überschaubaren Territorium und Markt, wie es La Palma nun mal ist, lässt sich effektiver und unabhängiger reagieren, als anderswo.
Aber La Palma scheint immer noch die Unberührbare zu sein. Zumindest für dieses eloquente Virus. Das geht so sicher nicht weiter, auch bei uns wird es bald Fälle der Virusinfektion geben und dann können wir unter erschwerten Bedingungen erneut beweisen, dass wir ganz coole Jungs und Mädels sind. Da jetzt in Madrid Universitäten und Schulen schließen kommen viele Bildungspendler wieder auf die Insel und man fürchtet eben, damit auch das Virus. – Fast schon zynisch, aber eben nur fast, ist sicherlich die ganze Diskussion um die wirtschaftlichen Folgen. – Dazu könnte man mir natürlich vorwerfen, wir hätten die Firma zur touristischen Vermietung gerade noch rechtzeitig an junge Leute weiter gegeben. – Wohl dem, der das aussitzen kann, weil er keinen Zinsen auf der Bank zahlen muss und keinen extrem teuren Verwaltungsapparat mitschleppen muss. – Es wird wieder weitergehen, natürlich hat Tourismus auch auf La Palma Zukunft, vielleicht in einer anderen Ordnung als bisher. Muss ja auch nicht immer schlechter sein, als vorher. – Einige werden sicherlich auf der Strecke bleiben und das natürlich nicht nur im touristischen Sektor, aber die Schlagworte von natürlichen Reinigungsprozessen, welche auch immer wieder die Runde machen, die sind da schon dunkelster Zynismus. Vor ein paar Wochen noch habe ich mit einem Hausbesitzer mal ein paar Szenarien durchgespielt, was denn die Ausrichtung zum Tourismus hin für uns belasten könnte. – Da sprachen wir über leck geschlagene Tanker vor unserer Küste, gestrandetes Atom-Uboot oder einen Vulkanausbruch. – Worst Case war aber immer eine neue Wirtschaftskrise, welche noch mehr Angst schüren könnte, als die im Jahr 2008 uns so „völlig unvorbereitet“ traf. – Das war damals mit Ansage, aber es galt halt nicht als opportun, so etwas zu melden. – Aber dann kommt ein kleiner Zeitgenosse, unscheinbar, so ganz ohne Rumms und setzt voll und ganz auf biologische und psychische Taktiken. Letztendlich ist es doch die Angst, welche unser Handeln und damit auch die Zukunft vieler Menschen bestimmt. Sicherlich einschneidender, als das Virus selbst und leider auch geschickt alimentiert von allerlei medialer Anstalten, welche im gleichen Tümpel fischen, wie diese Viren selbst. – Das alles hat keiner vorausgesehen und macht uns eben so ein bisschen wackelig in unseren Entscheidungen. – Darüber hinaus ist es nun kein Wortspiel mehr, sondern blanker Sarkasmus, aber schon ganz nah am zynischen Grat, wenn man davon spricht, eine Meldung ginge „viral“.
Andere Nachrichten und eben besonders Anliegen, treten im Augenblick komplett in den Hintergrund. – Greta könnte im Moment im Suff im SUV über die Landstraßen brettern und keiner würde dem ein paar Zeilen widmen. – Dabei wollten wir doch alle zusammen die Welt retten und plötzlich rettet sicher jeder selbst und geht zunächst Klopapier kaufen. – Beim Klopapier kaufen vom Gabelstapler überrollt! Solch eine Meldung wäre bereits blanker Zynismus, da hier jegliche Poesie fehlt und Schadenfreude den humoristischen Aspekt deutlich überlappt. – Brutaler Zynismus wäre nun die Fragestellung: Wo ist das Klopapier des Überfahrenen abgeblieben? Man selbst hätte nämlich keines mehr ergattern können. – Jetzt wird es dringend Zeit, sich wieder um den Alltag zu kümmern. – Ich meine den Alltag hier auf der Insel und da steht vor allem, das Wetter. – Oder noch deutlicher, die Dürre. – Ein anderes Wort kann man für den momentanen Zustand unserer Umgebung nicht mehr finden. – Ein Blick auf die Wettermodelle gibt seit Monaten, ach schon seit Jahren kein anderes Bild mehr her, als ein, alles dominierendes nordatlantisches Hoch. – Das ist auch mit der Grund, warum es im Winter so warm in Mitteleuropa ist. Ein Tief nach dem anderen brandet dort an, viel zu hoch im Norden über den Ozean geschickt, um uns hier im Süden noch streifen zu können. – Für das letzte Drittel des März, also noch nach den Iden, da könnte man doch wieder ein bisschen Hoffnung entwickeln, verfolgt man die Prognostiken des globalen Wetterdienstes GFS. – Allerdings sind solche Vorhersagen noch sehr vage und wir haben es leider bereits zu häufig erfahren, dass sich dann plötzlich das Azorenhoch doch wieder aufplustert und unsere Hoffnungen in den Norden schickt.
Wasser sparen ist die eine Lösung, wie man weiter verfahren kann hier auf der Insel. Allerdings darf ich daran erinnern, dass wir uns im Winter befinden und jetzt eigentlich Überschuss erwirtschaften sollten. – Mehr Wasser aus dem Berg quetschen, das wird von anderer Seite als Lösung propagiert und dem schließt sich deutliche Polemik an. – Es geht vordergründig darum, nicht eventuelle Wasserreserven komplett aufzubrauchen, mittel- bis hintergründig geht es aber darum, die wohlfeile Wertschöpfungskette der Wasserwirtschaft auf der Insel nicht zu stören. In den kommenden Wochen werden nun weitere Treffen diverser Spezialisten in Sachen Wasser stattfinden und es wird auch erneut über die Ausweitung der Bohrungen im, bereits berühmten „Túnel de Trasvase“, diskutiert werden. – Da bilden sich inzwischen sogar mehr als zwei Fraktionen, wobei nur die eine, nämlich die aktuellen Steuermänner der Wasserwirtschaft hier auf der Insel, klar zu identifizieren sind. – Diese wollen lediglich an „Stellschrauben“ drehen und damit auf keinen Fall die Zügel aus der Hand geben. Andere sehen in mutigeren Aktionen, wie eben das weitere Aufbohren des „Túnel de Trasvase“ eine mögliche Lösung. – Allerdings sind sich sämtlichen Spezialisten in einer Hinsicht einig, alle Aktionen, auch die der Unterlassung, sind lediglich mittelfristig angelegt. Sollte es nicht wieder zu regelmäßigen Niederschlägen in den Wintermonaten kommen, dann ist Corona das geringste Problem für unser Inselchen. – Was passieren könnte, sollte das schon der Klimawandel sein und nicht nur ein derber Scherz des Wetters, das könnte ich mir zwar vorstellen, ist aber nicht gesellschaftsfähig.
Ich könnte jetzt noch einen kühnen Schlag zurück zum Zynismus bringen und darüber reüssieren, warum wir denn eigentlich so viel Wasser brauchen. – Aber das würde uns in die Nähe eines Zweifels an unsere Wappenfrucht rücken und das macht man einfach nicht in schweren Zeiten. – Und ich will ja nicht meine, nun erkaufte Privatierlaufbahn, hier auf der Insel aufs Spiel setzen. – Schließlich will ich ja meinen Lebensabend hier auf La Palma verbringen und bei mir ist schon später Nachmittag. – Aber so ganz kommen wir vom Zynismus auch nicht los, bei den nebencoronalen Nachrichten. – Vielleicht erinnern Sie sich noch: Wir sind immer weiterhin, zumindest ein bisschen, im Rennen um das TMT, das 30 Meter Teleskop, welches eigentlich auf Hawaii installiert werden sollte. – Dort gibt es große Probleme in Sachen Akzeptanz durch die Bevölkerung und so wirft man uns immer mal wieder Häppchen hin, um nicht den Status der geduldigen Nummer Zwei aufzugeben. – Einer unserer Vorteile, eben neben dem hervorragenden Standort Roque de Los Muchachos, ist auch die bereits durchgespurte Linie im Genehmigungsverfahren für den Standort. – Inselregierung, Gobierno de Canarias und auch die Gemeinde Puntagorda sind ganz Kugelschreiber bei Fuß und warten nur darauf, Unterschriften leisten zu dürfen.
Bei uns auf der Insel sind auch alle dafür, diese Anlagen der Hochtechnologie weiter auch als wirtschaftliches Sprungbrett in eine Welt außerhalb der Bananen und Gästebetten zuzulassen. – Wirklich alle? – Nein, auch bei uns gibt es einige Gegner solcher Anlagen, oder zumindest Menschen, welche die Balance zwischen, Nutzen für die Bevölkerung und Landschaftsverbrauch, nicht sinnvoll aufgeteilt sehen. – Aber es gibt auch, allerdings ganz wenige, Totalverweigerer in Sachen Observatorien auf dem Roque und dazu gehören manche Mitglieder der Umweltorganisation „La Centinela-Ben Magec-Ecologistas en Acción“. – So droht man nun ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gegen die Genehmigungen für das 30 Meter Teleskop an, denn irgendjemand muss sich ja um die Umwelt kümmern, heißt es noch lapidar wie knapp in einem Pressetext. – Sicherlich auch nur abgekürzt und verzerrt in die Nachrichtenblätter und Seiten gelangt und so ganz weiß ich noch nicht, ob die das wirklich ernst meinen, mit dem Gang vor Gericht. – Das nämlich wäre teuer und aufwendig für die Umweltorganisation, aber auch gefährlich für die eventuelle Installation des Monsterteleskops. – Wir haben es ja oft genug erlebt, dass Gerichte irgendwelche Projekte oder Verfahren stoppen, da man in jedem Genehmigungsverfahren Fehler finden kann, wenn man es denn will. – Allerdings hoffe ich mal, mit Ankündigung einer möglichen Klage ist bereits genug getrommelt worden und wir können uns wieder Dingen widmen, die wirklich Frevel an der Umwelt darstellen und dort versuchen, Hebel anzusetzen.