„Wie? Du fährst nach Malle?“- „Nein, La Palma! Kanaren!“ – “Ah ok, Las Palmas? Gran Canaria!” Wer öfter hierher kommt, und seinem Bekanntenkreis verklickern will, wo die Reise hingeht, der kennt das. Wegen diesen Verwechslungen kamen ja schon, für teuer Geld eingestellte, Tourismusmanager auf die glorreiche Idee, dass wir uns wieder „San Miguel de La Palma“ nennen sollten. Jetzt weiß aber jeder wo wir sind. Wir sind die mit dem Vulkan. Wenn man an der ganzen Geschichte etwas Positives finden möchte, dann ist es die Tatsache, dass wir nun bei Leuten auf der Landkarte auftauchen, die von unserer Existenz nicht wirklich was gewusst haben. Ob das jetzt wirklich potentielle Urlauber sind, die uns in einigen Monaten durch Ihre touristische Anwesenheit, beim dringenden wirtschaftlichen Wiederaufbau helfen, sei mal dahin gestellt. Das Klientel, dass zu uns passen würde, kannte uns ja auch schon zuvor. Aber da sind wir jetzt doch noch mal stärker ins Bewusstsein gerückt. Trotzdem ist es wirklich bitter, dass es die größte soziale Katastrophe in der Geschichte der Insel benötigt, dass wir mal soviel Aufmerksamkeit erhalten. Der Umgang mit der Presse bleibt auch nach wie vor eine Sache für sich. Nach einem Monat Vulkan hat sich hierbei aber beidseitig etwas verändert. Der Anteil der Schreiberlinge und Fernsehleute, die zermalmte Häuser sehen wollen, ist deutlich zurück gegangen. Mittlerweile schaut die nationale und auch die seriöse internationale Presse eher nach den Folgen und Auswirkungen, die das Ganze für die Menschen hier hat. Ob es sinnvoll ist, hierfür Betroffene vor eine Fernsehkamera zu locken, dass die dann von ihrer Situation erzählen, hängt vielleicht von den einzelnen Leuten selber ab. Und es ist auch wichtig, dass Fernsehzuschauer verstehen, dass es sich hierbei nicht um ein Naturschauspiel handelt, zumindest sehen das die Menschen, die hier leben, nicht so. Es geht für die Palmeros auch nicht nur um den Verlust von Eigentum und eine damit verbundene wirtschaftliche Krise. Ein zuhause ist für viele mehr, als die eigenen 4 Wände. Viele haben ihr Lebenswerk verloren und soziale Strukturen sind unwiederbringlich vernichtet worden. Vielleicht spielt da aber unsere Insellage mit rein. Man fühlt sich hier eben als erstes, als Palmero, danach ist man Canario, und ob dann zuerst Spanien oder Europa in der Selbstdefinition auftaucht, ist gar nichts so einfach zu beantworten. Und natürlich ist uns allen klar, dass es auf der Welt genügend Menschen gibt, denen es wesentlich schlechter geht. Diese Erkenntnis hilft dann gleichzeitig nach vorn zu blicken. Und deshalb ist das Medieninteresse mittlerweile von einigen auch nicht ungern gesehen. Für die Zeit danach, wann immer das auch sein mag, kann das hilfreich sein.
Der Vulkan selber, der immer noch keinen Namen trägt, bleibt undurchschaubar, was nicht nur an den dichten Rauch und Aschewolken liegt, die um ihn herum wabern. Es ist nämlich auffallend ruhig. Ab und an klopft er mal an und dannb wackelt die Tür, aber außer dem vereinzelten Gepolter hört man ihn nicht. Keinerlei Gefauche ist zu vernehmen, man hat das Gefühl, als ob weniger Druck auf dem Kessel ist. Gestern meinten wir das auch schon, man spekulierte bereits, dass kaum noch Lava fließen würde. Nachts hat er uns dann aber gezeigt, dass dem nicht so ist. Die Zunge, südlich vom Montaña de La Laguna steht jetzt wirklich kurz vor dem Erreichen des Ozeans. Nachdem sich das Tempo auf 2m pro Stunde verringert hatte, waren es heute Morgen wieder zwischen 10 und 15 m/h. Gleichzeitig hat sich der Lavafluß am Camino Cumplido auch wieder in Gang gesetzt und hat die LP 213, 150m südlich der Tankstelle überquert. Es besteht wohl nach wie vor die Möglichkeit, dass der Ortskern von La Laguna verschont wird. Die Topografie lässt uns da hoffen, dass die Lava sich weiterhin links am Berg vorbeischlängelt und dort wieder auf den Hauptstrom trifft. Wie schon mehrfach gesagt, das Zeug muss ins Meer und dann bitte auf einer stabilen Rinne ein konstanter Abfluss. Schaut man nämlich, was das Ungetüm nämlich bisher angerichtet hat, dann versteht man, was die Heftigkeit des Ausbruchs ausmacht. Dazu benötigt man gar nicht die rund 2.000 zerstörten Gebäude, sondern muss nur die von Lava bedeckte Fläche betrachten und sich darüber im Klaren sein, dass es noch nicht vorbei ist. Im Vergleich zu den Ausbrüchen der Vergangenheit übertrifft der Namenlose nach nur einem Monat bei weitem:
1. Tacande 1430-1447 (424 ha)
2. Tehuya 1585 (338 ha)
3. Tigalate 1646 (296 ha)
4. San Antonio 1677-1678 (210 ha)
5. Charco 1712 (441 ha)
6. San Juan 1949 (323 ha)
7. Teneguía 1971 (276 ha)
8. Der Namenlose 2021 (811 ha, nach den neuesten Daten des Copernicus-Satelliten von heute, und fast alles in besiedeltem Gebiet)
Klar wissen hier alle, dass wir in einem Vulkangebiet leben und auch das ein Ausbruch jederzeit möglich sein kann. Mit diesen Dimensionen hat aber wirklich niemand gerechnet. Die Menge an ausgeworfenem Material ist riesig, der Abtransport ins Meer funktioniert nicht und das alles in bewohntem Gebiet. Die anfängliche eigene Sensationslust hatte sich bei allen ganz schnell gelegt, und auch die älteren Semester, die schon den dritten palmerischen Vulkanausbruch erleben sind mittlerweile nur noch entsetzt. Deswegen nehmen wir jede positive Entwicklung als Hoffnungsschimmer. Die Deformation ist heute leicht gestiegen, das ist aber zu vernachlässigen. Das mit dem SO2 – Ausstoß ist häufig ein Schätzwert, genau lässt sich das nicht messen, aber zwischen den einzelnen Daten, die von offizieller Seite kommen, meint man einen weiteren Rückgang zu bemerken. Der wirkliche deutliche Rückgang ist aber heute bei der Bebentätigkeit zu sehen. Es ist nur ein Tag und vielleicht sind es morgen schon wieder viel mehr, aber stand jetzt haben wir gerade 2 von 3 Faktoren, die auf dem richtigen Weg sind, um zumindest auf ein Abschwächen des Vulkanes hin zu deuten. Und rein optisch wirkt es ja gerade auch noch so, als ob der Vulkan nicht mehr so richtig will, obwohl uns die Amplitude das Gegenteil sagt.