Zahlen und Reaktionen

62 ist die momentane Zahl. Zum einen sind das die derzeit auf der Insel bestätigten Fälle, stand 1.4.; 12:00 Uhr, zum anderen ist das die Zahl der auf allen Kanareninseln Verstorbenen. Hier auf La Palma sind es deren 2. Jetzt kommt aber der Haken an der Sache: Zusammen wurden bisher noch keine 500 Tests auf La Palma durchgeführt. Und es ist auch anzunehmen, dass ein beträchtlicher Teil der gemachten Tests auf das Klinikpersonal entfällt, die ja aus Sicherheitsgründen regelmäßig überprüft werden müssen. Deswegen kann man also überhaupt nicht sagen, wie viele positive Covid-19 Fälle es wirklich gibt. Es wird ja immer von einer hohen Dunkelziffer gesprochen, auch in Deutschland. Ich denke aber, dass diese in Spanien ungleich höher sein wird, was auch die vergleichsweise hohe Todesrate in Spanien erklären würde. Dem Virus ist es ja letztlich egal, ob es einen Spanier oder Deutschen dahinrafft. Intensivmedizinische Betten haben wir auch, allerdings verglichen mit Deutschland, weniger als die Hälfte pro 1.000.000 Einwohner. Das liegt aber auch daran, dass hier nach der Krise 2008 gespart werden musste, und das aber auch nicht komplett in Eigenregie, sondern eben auch nach Vorgaben der Rest-EU. Und in Spanien wurde weniger am Personal, sondern mehr an der Ausstattung der Kliniken gespart. Generell sind hier die KrankenpflegerInnen sehr gut ausgebildet. In Spanien handelt es sich um einen Studienberuf und der Numerus Clausus liegt auf einem ähnlichen Niveau wie der für ein Medizinstudium. Wenn das Ganze hier vorbei ist, sollte man sich vielleicht Gedanken machen, wo man in Zukunft einsparen wird. Die Sparmaßnahmen werden kommen und die werden noch so einige treffen. Der gesamtwirtschaftliche Schaden wird sicherlich in ganz Europa enorm sein, und wenn ich ehrlich bin, rechne ich nicht mit einer großen Solidarität innerhalb der EU danach, da werden dann zuerst mal die eigenen Wunden geleckt werden.

In Spanien ist der Lockdown ja offiziell bis zum 11.4. verlängert worden. Unser Kanarenpräsident Torres hat aber schon verlauten lassen, dass die ganze Sache noch bis mindestens Ende April gehen wird, und das Wiederhochfahren des normalen Lebens soll dann auch erstmal Stück für Stück, also „poco a poco“, wie es hier heißt, geschehen. Mit dem Tourismus soll es frühestens zum 1. Juni wieder losgehen, wobei ich daran im Moment noch nicht glaube. Zunächst sind die Vorgaben seit dieser Woche nochmal verschärft worden. Firmen, deren Tätigkeit nicht „systemrelavant“ ist, mussten ihre Mitarbeiter nun in den Zwangsurlaub schicken. Selbständige, die sogenannten „Autonomos“ dürfen aber erstmal weiterarbeiten. Die können ja auch keine Kollegen anstecken, und jeder, der gerade noch ein bisschen was zu tun hat, ist auch froh darüber. Gerade die vielen Autonomos, die es hier gibt, sind gerade besonders betroffen und auf jeden Cent, der noch verdient werden kann angewiesen.

Spannend ist gerade auch zu sehen, wie unterschiedlich, die Palmeros und die auf der Insel lebenden Deutschen, die momentane Situation bewerten. Unter den Palmeros herrscht die Stimmung, dass man da jetzt eben durch muss. Generell stellt man die ganzen Maßnahmen, die ergriffen wurden nicht in Frage. Und es gibt hier schon abstruse Dinge, die so geschehen. Die Gemeinde El Paso desinfiziert regelmäßig die Straßen. Hierzu marschiert dann ein schutzbegleiteter Trupp in Weiß durch das Dorf.  Das Ganze wirkt eher wie aus einem schlechten Film. In Tazacorte sprühen sie auch, da aber in kurzer Hose. Aber die Coaliciòn Canarias in El Paso muss wohl auch zeigen, dass man etwas tut, und so werden die sprühenden Helden auch regelmäßig in den sozialen Netzwerken gepostet. Schön war auch ein Papier, das die Gemeinde veröffentlicht hat, laut dem man sich nach dem Einkaufen gehen die Schuhe desinfizieren soll, bevor man die eigene Wohnung betritt. Ich persönlich mache das nicht. Schließlich handelt sich es um eine Tröpfcheninfektion und ich habe auch in Vorcoronazeiten aus hygienischen Gründen nicht an meinen Straßenschuhen geleckt. Jedenfalls sieht nach meiner Meinung sinnvolle Aufklärung anders aus. Hier gibt es schon so einige, die den Virus überall vermuten und panische Angst haben das Haus zu verlassen. Vielleicht ist diese Angst aber auch ein probates Mittel, den sonst eher etwas sorgloseren Südländer zuhause zu halten.

Ein Großteil der deutschen Residenten sieht sich in seiner Überheblichkeit aber gerade auch mächtig bestätigt. Wir bilden uns ja schließlich gerne ein, dass wir so viel aufgeklärter sind als der Spanier oder der Palmero. Viele davon haben ihren Abschluss an der Facebook-Uni gemacht und sind gerade eifrig dabei Ihr Wissen weiterzugeben. Die Einschränkungen hier werden auf den noch nicht so lange zurückliegenden spanischen Faschismus zurückgeführt. Dabei geht es aber bei diesen Erleuchteten nicht darum, dass eine Krankheit eigedämmt wird, sondern um die angeblich geplante Wiederherstellung des Francismus. Die Zentralregierung, auf die gerne geschimpft wird, tut also alles um uns zu gängeln. Zur Info: Die Regierung in Madrid ist bei jeder Verlängerung des Alarmzustandes, auf die Zustimmung des Parlamentes angewiesen. Wir leben hier ja schließlich nicht in Ungarn. Und ja, jede Einschränkung der Freiheitsrechte in einem demokratischen System ist kritisch zu sehen, aber vielleicht, aber nur ganz vielleicht, lohnt sich da ein Blick nach Bergamo oder Madrid, und dann könnte man doch nochmal drüber nachdenken, dass es, aber nur unter Umständen, dann doch sinnvoll sein könnte, dass wir derzeit unseren Hintern so wenig wie möglich aus den eigenen vier Wänden hinaus bewegen. Diese Leute trauen sich aber gar nicht mehr etwas gegen den Mainstream zu sagen, weil man das ja gar nicht mehr darf. Deswegen tun Sie es dann die ganze Zeit und wenn man Ihnen wiederspricht, fühlen Sie sich noch mehr bestätigt. Eine beliebte Theorie ist es hier auch, die WHO zu kritisieren. Diese wird nämlich wohl auch von der Bill-Gates-Stiftung finanziert. Sie kann also gar nicht unabhängig sein, sondern vertritt die Interessen des Großkapitals. Schließlich würde die Stiftung auch Aktien von Coca-Cola halten. Ziel ist es wohl, so munkeln die Erleuchteten, dass das Großkapital die Weltwirtschaft kollabieren lassen möchte. Warum sagt keiner, aber wenn die Wirtschaft zusammenbricht, und die Menschen verarmen, wird halt auch weniger Cola getrunken. „Irgendwas scheint da schon dran zu sein, obwohl ich ja nicht an Verschwörungstheorien glaube“, sagt der freidenkende Mensch dann, und merkt dabei nicht, dass es dasselbe ist, wie wenn ein AFDler sagt, ich bin ja kein Nazi, aber die Ausländer…

So jetzt aber genug aufgeregt, aber es ist gerade so langweilig, man muss sich ja auch irgendwie beschäftigen.