Empörung und kulturelles Erbe

Hier sind wir ja gewaltig stolz auf unsere insularen Ureinwohner. Das schafft nämlich Identität kultureller Natur. Da wir uns, hier auf den kanarischen Inseln, manchmal als nicht beachteter Wurmfortsatz des spanischen Festlandes fühlen, brauchen wir so was umso mehr. Deswegen halten wir unsere Guanchen mächtig hoch. Jetzt kann man natürlich darüber streiten, ob die Herrschaften in der Vergangenheit all zu viel zuwege gebracht haben, und wenn man da genau hinschaut, dann wirken die paar Töpfchen und das typische Felsengekringel doch eher dürftig, die sind ja erst ein paar hundert Jahre alt und nicht, wie woanders aus steinzeitlichem Zeitalter. Hochkultur geht jedenfalls anders. Pyramiden oder antike Tempel haben wir hier aber nicht, also sind Felskringeleien und unscheinbare in den Felsen geklopfte Mulden unser identitätsstiftendes Erbe. Um diese Mulden, „cazoletas“ genannt, gibt es gerade gewaltigen Ärger. Oben in Puntagorda, in Lomo Muerto, sind bzw. waren die besterhaltenen der Insel und sogar die größte Mulde der Kanaren. Was die Herren und Frauen Ureinwohner in oder mit den Mulden gemacht haben ist mir nicht bekannt, aber die haben jedenfalls die eigenhändig in das Gestein geschlagen.

Diese Woche wurde aber bekannt, dass da wohl jemand dran rumgeklopft hat und die Dinger jetzt kaputt, bzw. sogar weg sind. Jetzt fragt man sich natürlich welch ein Halunke so was macht, und die Antwort liefert heute die Internetzeitung „ElTime“. Der Hippie war das. Der Hippie oder die Hippiene (wie das korrekt gegendert wird, habe ich keine Ahnung), hat nämlich oberhalb der cazoletas ein Lager errichtet und einen Weg zum Lager angelegt, der genau über die Mulden führt. Das ist jetzt wohl nicht nur eine Vermutung, sondern die Herrschaften wurden wohl auch gesehen, so schreibt es jedenfalls die Zeitung. Die Guardia Civil ist dran, die Policia Local auch, und natürlich auch das Cabildo Insular die sich um den Erhalt des guanchigen Erbes kümmern sollen.

Oben sind zwei unbeschädigte cazoletas, unten die, die kaputt sind.

Die Reaktionen sind aber gerade etwas zweigeteilt. Das Cabildo Insular wird nämlich, von Seiten der Bevölkerung, auch mit in die Pflicht genommen. Schließlich gab es nicht mal ein einziges Schild, das auf den kulturellen Wert der cazoletas hingewiesen hat. Und man denke an die blamable Wanderwegrenovierung, als es die cabildoeigene Firma doch tatsächlich hinbekommen hat, den Weg mit Petroglyphen zu pflastern. Kann man also dem barfüßigen Zivilisationsflüchtling da überhaupt einen Vorwurf machen. Woher soll den so ein Hippie wissen, woher die kleinen Löcher im Felsen stammen. „ElTime“ sieht das ganz klar so, wobei bei denen der gemeine Hippie und Aussteiger eh einen schweren Stand hat. Das ganze ist aber auch immer ein Wechselspiel. Als letztes Jahr einige, nicht offiziellen Behausungen beim Feuer in Puntagorda abgefackelt sind, haben sich die Betroffenen, mächtig an der Berichterstattung von „ElTime“ aufgerieben, weil die Behausungen dort als „illegal“ bezeichnet wurden.

Wir haben hier aber gerade auch eine Hippie-Akkumulation. Hier im Wald oder in der Höhle lässt sich nämlich vortrefflich den pandemische Restriktionen entfliehen. Und unsere niedrigen Covidwerte ziehen eben auch diesen Teil der Bevölkerung an. Das ganze Spiel ist aber schon älter. Vor Jahren wurden ja schon mal die Höhlen auf dem Wanderweg nach Tazacorte vom Aussteigertum befreit und zugeschweist. Dabei wurde eine nicht unbeträchtliche Menge an Müll und Unrat beseitigt. Das ist nämlich häufig so, dass der Hippie seinen Krempel einfach liegen lässt. Ordentlich bekifft mag er das vielleicht sogar noch als gute Tat interpretieren. Vielleicht brauchen nachfolgende Hippiegenerationen das alte und verwanzte Sofa und die alten Paletten ja noch. Sonst müssen die das auch wieder mühselig dahin schleppen.

Jetzt aber Schluss mit der Polemik. Die Herrschaften sind, obwohl hier ein Großteil der Bevölkerung die Toleranz mit Schöpfkellen gefressen hat, eher unbeliebt. Das liegt aber eben auch am teilweise ignoranten Verhalten der Höhlenbewohner. Man lässt die Leute eigentlich ja machen, wenn dann aber Müllhalden entstehen, Wasserleitungen angezapft werden, oder eben Felsmulden zerklopft werden, dann ist es vorbei mit dem tolerant sein. Da spielen auch so Sachen rein, wie die Geschichte des Waldbrandes in El Paso vor einigen Jahren, der sogar ein Todesopfer gefordert hat. Klar kam es da auch zu ausländerfeindlichen Polemik. Inhaltlich war da aber schon etwas dran. Der junge Mann, der sein Klopapier verfeuert hat, hatte keinerlei böse Absicht, und das was der da angerichtet hat, wird er sein Leben lang mit sich rumtragen. Dennoch könnte man von einem Aussteiger erwarten, dass er sich über die Waldbrandgefahr in dem Gebiet in das er aussteigt informiert, und eben nicht nur das eigene „Easyliving“ zählt.

Was jetzt mit dem Hippielager oberhalb unseres unwiederbringlich zerstörten kulturellen Erbes passiert, bleibt abzuwarten. Jedenfalls sind einige echt aufgebracht. Ob die bei Ihrer eventuellen Vertreibung aus dem Paradies dann auch Ihren Müll wieder mitnehmen müssen, bleibt auch spannend. Aber man erfährt das dann sicherlich bei „ElTime“. Die bleiben da dran.

Hippie-Lager
Der Pfad des Anstoßes (Fotos: eltime.es)