Wir sind fast alle Dienstleister

Die Zeitung „Canarias Ahora“ hat heute einen ganz interessanten Bericht über die Arbeitslosensituation auf den Inseln in Zusammenhang mit der elendigen Coronakrise veröffentlicht. Grundlage war hier die letzte Erhebung zur sozioökonomischen Situation, die vom kanarischen Institut für Statistik (ISTAC) durchgeführt wurde. In der Erhebung gaben die befragten Frauen zu 61,75% und die Männer zu 56,13% an, dass de Arbeitslosigkeit derzeit unser massivstes Problem hier auf den Inseln ist.

In dem Artikel stehen aber noch ganz andere Sachen drin, bzw. lassen diese sich durch die interaktiven Tabellen rausfinden. Wenn es um die reine Zunahme der Arbeitslosigkeit, im Vergleich zum März 2020 geht, dann kommt La Palma am besten weg. Barlovento, die Gemeinde im Nordosten der Insel, hat sogar als einzige Gemeinde der ganzen Kanaren einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um 11,17% zu verzeichnen. Am schlimmsten betroffen waren die Inseln Lanzarote und Fuerteventura. Den absoluten Spitzenwert hat die Gemeinde Yaiza auf Lanzarote mit einer Zunahme von über 75%, gefolgt von Tias, ebenfalls Lanzarote, mit 70,41%. Generell hat es die touristischen Regionen am härtesten getroffen, neben den beiden Inseln ganz im Osten, eben auch die Touristengebiete im Süden von Gran Canaria und Teneriffa. Für La Palma hat sich folgendes ergeben:

Maerz 2020Maerz 2021Zunahme %
Puntagorda19826232,32
Tazacorte53263920,11
Los Llanos2204253114,84
Fuencaliente12814714,84
Puntallana20222812,87
Garafia18320612,57
Breña Baja5255769,71
Mazo4695149,59
El Paso8218918,53
Tijarafe2132307,98
Breña Alta7588137,26
St.Cruz171718397,11
San Andres y Sauces3393482,65
Barlovento197175-11,17

Spannend und gleichzeitig Erschreckend ist aber auch, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem mittleren Einkommen und der gestiegenen Arbeitslosigkeit gibt. Und während La Palma bei der Zunahme der Arbeitslosen am besten weg kommt, sind wir gleichzeitig die mit den geringsten mittleren Jahreseinkommen und dafür aber bei denen mit einem befristeten Arbeitsverhältnis ganz vorne dabei. Aus deutscher Arbeitnehmersicht sind die Zahlen eher zum fürchten. Die Einkommensstärkste Gemeinde mit einem mittleren Jahreseinkommen von 30.169 € (netto) ist Santa Brigada auf Gran Canaria. Kanarisches Schlusslicht ist Garafia mit 12.961 € (netto) durchschnittlichem Jahreseinkommen. Erschreckend ist ebenfalls die hohe Anzahl der befristeten Beschäftigung. Spitzenreiter hier ist Fuencaliente. Mehr als vier von zehn Beschäftigungsverhältnisse sind befristet.

Maerz 2020Maerz 2021Zunahme %Jahreseinkommen netto €ohne Festanstellung %
Puntagorda19826232,3214.6038,15
Tazacorte53263920,1115.82424,43
Los Llanos2204253114,8417.49813,19
Fuencaliente12814714,8416.14740,61
Puntallana20222812,8717.67512,87
Garafia18320612,5712.91615,91
Breña Baja5255769,7120.40526,65
Mazo4695149,5918.3286,8
El Paso8218918,5317.4308,53
Tijarafe2132307,9816.6817,39
Breña Alta7588137,2619.3155,49
St.Cruz171718397,1119.9769,54
San Andres y Sauces3393482,6516.8139,33
Barlovento197175-11,1715.30516,16
eigentlich nochmal die selbe Tabelle, aber diesmal erweitert

Und bei der Befristung zeigt sich eben auch der Zusammenhang zwischen Tourismus/Dienstleistungssektor und der Zunahme der Arbeitslosigkeit. Yaiza auf Lanzarote hat zu der Zunahme von 75% der Arbeitslosigkeit, gleichzeitig 63,11% Beschäftigte mit befristeten Verträgen.

Die ganze Zahlenschieberei lässt jetzt ein paar Schlüsse zu. Zum einen kam La Palma ganz gut durch die Coronakrise, hier wurden die wenigsten Arbeitsplätze vernichtet. Gleichzeitig sagen die Zahlen aber auch aus, dass hier verdammt wenig Geld verdient wird. Mit knapp 13.000 € Nettoeinkommen pro Jahr macht man keine großen Sprünge. Das Gehaltsgefälle hier auf der Insel lässt sich vor allem durch die Verwaltungsgeschichte auf der Ostseite der Insel mit dem Sitz des Cabildos erklären. Gerade die Gutverdiener im öffentlichen Dienst wohnen dann eher nicht in Santa Cruz, obwohl da das Einkommen eh schon überdurchschnittlich ist, sondern in Breña mit schönem Ausblick. Außerdem ist festzustellen, dass in den landwirtschaftlich geprägten Regionen schlechter verdient wird, als in den touristischen Regionen. Im Zweifelsfall, verdient man immer noch mehr Geld mit einem Saisonvertrag im Tourismus, als mit einer Festanstellung im landwirtschaftlichen Bereich. Das bringt aber gleichzeitig das Problem mit sich, dass man keine Sicherheit hat und es entsprechend schwer ist, sich etwas auf zu bauen, weil man nie weiß, ob man den Job noch über die nächsten 6 Monate hinaus behalten kann.

Die Gewerkschafterin Esther Martin kommt im Artikel von „Canarias Ahora“ auch zu Wort und kommt zu den entsprechenden Schlüssen: Sie ist der Ansicht, dass es nach der Krise kein weiter wie bisher geben kann. Gerade die niedrigen Löhne, auch verursacht durch die vielen Befristeten Arbeitsverhältnisse, haben hier zuvor schon für eine prekäre Lage gesorgt, die sich jetzt manifestiert hat. Schuld hat nach Ihrer Ansicht auch der Massentourismus, der möglichst billig sein will und bei den Angestellten spart. Ein Ausweg könnte hierbei auch die Förderung der Selbstständigkeit sein, um als echter Dienstleister und eben nicht abhängig beschäftigt zu sein. Die Kanaren, die pro Kopf am meisten aus dem Wiederaufbautopf der EU erhalten werden, sollen das Geld bitte so investieren, dass sichere und menschenwürdige Arbeitsplätze entstehen, die angemessen vergütet werden. Nicht zu vergessen ist auch, dass auf den Inseln noch rund 87.000 Menschen in Kurzarbeit sind. Gleichzeitig erhalten auch noch einige Autonomos Unterstützung um über die Runden zu kommen.

Am Ende des Artikels äußert sich noch Josefa Martin, Wirtschaftswissenschaftlerin und Professorin an der Universität in Las Palmas de Gran Canaria sieht generell ein Problem der Fixierung auf den touristischen bzw. den Dienstleistungssektor, der uns in der Krise entsprechend anfällig macht. Laut den Daten von ISTAC entfallen 86% der Beschäftigungsverhältnisse auf den Kanaren auf den Dienstleistungsektor, im Bereich Bau sind 5,95%, in der Industrie 4,42 und in der Landwirtschaft nur 2,5% der Arbeitsverhältnisse angesiedelt. Dabei geht es aber auch darum, dass sich die Menschen anderweitig bei der Berufswahl orientieren. Josefa Martin macht das am Beispiel der Schiffsreparatur fest. Hierzu müssen regelmäßig Techniker vom Festland geholt werden, weil es hier an Fachkräften fehlt.