Stabil unstabil

Heute hält uns der Vulkan gewaltig in Atem. Grund dafür sind mehrere Zusammenbrüche von Teilen des Hauptkegels. Das hatten wir ja schon mehrfach, und jedes Mal ist der Schreck riesig. Da kann man nämlich beobachten, wie sich schlagartig neue Lavaausflüsse bilden und es kommt sofort die Frage auf, wo das dann hinfließen wird. Die letzten Male ging das immer noch ganz gut und das Gebräu hat sich weiter unten mit dem Hauptstrom vereinigt. Dieses Mal aber nicht. Die beiden Ströme, die sich weiter nördlich gebildet haben, sind in das Industriegebiet von Los Llanos vorgedrungen und haben auf dem Weg dorthin, wieder einige Häuser unter sich begraben. Der weiter nördlich verläuft mehr oder weniger parallel zur Straße dort. Der südlichere und schnellere hat das Möbellager von Antani mitgenommen und ist bereits unterhalb vom Camino Campitos angekommen. Die letzten Aufnahmen lassen vermuten, dass er sich nun auf dem Weg Richtung Todoque am Callejon de Gato befindet. Allerdings stammen diese Aufnahmen von heute um die Mittagszeit. In der Pressekonferenz hat PEVOLCA heute verkündet, dass die Lava in diesem Bereich gerade in einer Senke Halt machen würde. Diese würde aber beim momentanen Tempo innerhalb von 24-36h volllaufen. Von welcher Senke da genau die Rede ist kam nicht zur Sprache. Man habe jetzt die Zeit zu berechnen, wie die Lava nach dem Volllaufen weiter wandern würde und genügend Zeit entsprechend zu reagieren. Nach wie vor geht die Angst um, dass es neben Todoque auch noch La Laguna erwischen könnte. Die neuen Lavazungen und die ominöse Senke befeuern da gerade die schlimmsten Befürchtungen. Das die Experten gerade versuchen keine Panik aufkommen zu lassen, ist verständlich, wenn es so kommen würde, dann kann man ja nichts daran ändern. Generell müssen die nämlich aufpassen, was sie erzählen. Der drohende Abbruch von Teilen des neuen Lavadeltas, wurde bereits von einigen Medien sensationsheischend ausgeschlachtet. Da könnten giftige Dämpfe austreten, was natürlich stimmt, das gilt aber auch in dem Moment in dem die flüssige Lava ins Meer geht. Man hat da bisher ja recht umsichtig reagiert. Auch war von Wellen die Rede, die eine Höhe von 5 Meter erreichen könnten, wenn da ein größerer Teil abbrechen sollte. Das stimmt sogar, sagen die Verantwortlichen und haben das dann mal durchgerechnet. Das Resultat wäre, dass diese Wellen am Hafen von Tazacorte dann nur noch 25cm hoch wären.

Heute am Tag hat der Kegel dann wieder einen kleinen Zusammenbruch erlitten und es kam erneut zu einem gewaltigen Lavaschwall. Bei mir löst so etwas dann auch immer einen Zusammenbruch der Nerven aus. Der Vulkan macht einen echt fertig. Wir rechnen nicht mit einem baldigen Ende, vielleicht auch um nicht noch einen Nackenschlag zu bekommen. Hier geht gerade ein wenig das Motto um, dass jeder weitere Tag mit Vulkan, gleichzeitig einen Tag weniger bis zur Zeit danach bedeutet. Das ist gerade die ultimative Seelenkrücke. Für ganz viele kommt dann sicher auch noch die böse Ernüchterung. Im Moment geht ja nichts und man muss einfach warten. Dass es danach irgendwie weitergehen wird scheint auch klar zu sein. Aber viele halten sich gerade mit der Illusion über Wasser, dass man dann sofort in sein Zuhause zurückkehren könnte, beziehungsweise dass, falls Haus und Hof bereits verloren sind, die Neuerrichtung einer Unterkunft unmittelbar bevorstehen würde. Das pure Ausmaß der Zerstörung macht das aber gar nicht so einfach.

Auch für uns als Familie schlagen die Versuche sich mit der jetzigen Situation abzufinden regelmäßig fehl. Auf die Frage, wie lange das noch geht, reagieren meine Frau und ich abwechselnd richtig gereizt. Man stellt sich langsam auch die Zukunftsfrage, bzw. fragt sich, wie lange man die Geschichte mit Nulleinkommen durchstehen kann. Rücklagen bilden war, wenn man im Januar 2020 die Firma übernommen hat, covidbedingt auch nicht möglich. Wobei das eher immer meine persönliche Panik ist und ich glücklicherweise mit einem Menschen verheiratet bin, der in der Lage ist mich ab und an wieder runter zu holen. Eine Flucht von der Insel kommt für uns nicht in Frage. Wir könnten nicht mal aus El Paso weggehen. Ich hatte auch schon die Idee meinem Sohn einige Haare auf die Füße zu kleben und ihm einen Ring um den Hals zu hängen, den er dann eigenhändig in den Feuerberg schmeißt. Das würde die vulkanische Situation dann zwar erstmal kurzfristig verschärfen und ich weiß auch nicht wo ich einen Riesenadler herbekommen soll, der ihn dann aus der Gefahrenzone holt, aber dann wäre alles wieder gut und wir könnten im Anschluss wieder alle zusammen im friedlichen Auenland leben.