Massig Süßgram

Dieser vermaledeite Tag findet auch hier statt und die eigene Brut ist schon mächtig geladen, obwohl es die zuckerhaften Energielieferanten erst heute Abend gibt. Mir ist das total fremd, aber für die Kinder ist das nach Ostern, das zweite Highlight des Jahres. Ob die Tatsache, dass man die Gaben hier suchen, beziehungsweise erbetteln muss, zur Attraktivität der Veranstaltung beitragen, mit einem unlogischen protestantischen Arbeitsethos (so sehr man sich windet, die Sozialisation ist ein hartnäckiges Ding), den die irgendwie aus Versehen väterlicherseits abbekommen haben zu tun hat, oder ob da einfach das Jagdfieber angesprochen wird, ist mir nicht klar. Aber die Kinder sind seit einer Woche heiß wie Frittieröl. Das Haus wurde geschmückt, der Kürbis gesäbelt und am Kostüm gefeilt. Heute Abend dann geht es nach draußen. All zu große Sorgen muss man sich aber nicht machen, wenn man kein Süßzeug hat. Die Sammelaktion hier in El Paso geht vor allem durch die Geschäfte. Privathäuser werden eher selten behelligt und Angst, dass man eins ausgewischt bekommt, weil man den vorlauten Kindern mit dem Plastikkürbis in der Hand nix zu geben hat, braucht man nicht wirklich zu haben. Auch hier kann es zwar sein, dass man ein Ei an die Hauswand gedonnert bekommt. Das sind dann aber Kids, die gar nichts haben wollen, sondern nur einen Anlass zum über die Stränge schlagen suchen.

Während der Große seine Tour mit den Kumpels plant, haben wie die Kleine bei der Gemeinde angemeldet. Die ziehen dann in Gruppen mit einer Sozialarbeiterin durch das Dorf um das Zeug zu sammeln. Das wirklich schlimme ist, dass es eben nicht nur Schokolade gibt, sondern auch grausam schmeckende Bonbons. Der hauseigene Erfahrungswert zeigt, dass diese Teile dann im Plastikkürbis verbleiben, weil keines meiner Kinder diese Teile mag. Irgendwann, meist so im Mai, zieht meine Frau dann immer den Schlussstrich und ordnet die Entsorgung der Beute an, was stehts auf Gegenwehr stößt, aber längst zum Ritual gehört. Mit dem Sammeln ist es aber noch nicht getan. Im Anschluss geht es dann noch ins Hotel Monterey. Hier hat man ein Geisterhaus installiert. In den letzten Jahren, vor Covid und Vulkan lief das noch unter Terrorhaus. Und die großmäuligsten Kinder, kamen dann da heulend wieder raus. Dieses Jahr wird das aber nicht von der Gemeinde organisiert, sondern von der Assoziation der Gewerbetreibenden „El Paso Crece“, aus dem Dorf. Deswegen ´kommt man da nicht einfach so rein. Pro € 20,- Einkauf hat man sich das Recht auf einen Eintritt erworben. Mit dem Ticket konnte man sich eine Karte holen. Da ich da raus bin brauchten wir nur deren drei, und da wir spät dran waren, geht der Rest der Familie zwischen 23 Uhr und 24 Uhr dorthin.

Das ist die Schnitzarbeit des Juniors

Die Gemeinde hat sich aber dennoch an der Geschichte beteiligt. Allerdings hat man da das Wort „Halloween“ aus der Veranstaltungsreihe rausgenommen und nennt das ganze traditionsbewußt „Semana de Alma de Tacande“. Neben Hüpfburgen und Kinderschminken, Filmen für Groß und Klein, gab es auch eine Veranstaltung zu der selbst ich mich durchringen konnte. Man ist des nächtens zum Alma de Tacande mit dem Bus gefahren. Dort im Schein der Kerzenlampe vor dem Pajero hat uns dann ein Gemeindemitarbeiter die Geschichte näher gebracht. Allerdings ging es gar nicht so sehr um den Gruselfaktor, den unsere gemeindeeigene Gespenstergeschichte mit sich bringt, sondern um die Einordnung der historischen Figuren, die daran beteiligt waren. So gesehen gab es eine nächtliche Geschichtsstunde der eigenen Insel. Und das war ganz spannend. So wurde zum Beispiel klar, dass die Frau, der der Geist hat die Wiege wackeln lassen hat, eben nicht in einem Pajero gewohnt hat. Vielmehr handelte es sich um ein großes Anwesen. Diese war nämlich die Enkeltochter eines der wichtigsten Eroberer der Insel und finanziell mächtig gesegnet. Da haben sich nämlich Historiker ans Werk gemacht und die Archive gewälzt. Aber nicht nur zu den Personen, sondern auch zu anderen Gegebenheiten gab es Erkenntnisse. So war die Geschichte des „Alma de Tacande“ früher in ganz Spanien ein Begriff, bevor das dann nach und nach verloren ging. Deshalb plant die Gemeinde nun, das Gelände zu erwerben und die Sache entsprechend aufzubereiten. Tatsächlich haben die wohl die Idee eines touristischen Informationszentrums vor Ort. Geographische Erkenntnisse, warum hier die Ortschaften so heisen wie sie heisen wurde auch präsentiert. Ursprünglich z.b. wurde das ganze Tal oberhalb der Küste „Los Llanos de Tazacorte“ genannt. Also die Ebenen von Tazacorte, ganz einfach, weil Tazacorte auf der Westseite der erste Siedlungspunkt der Spanier war. Alles was dahinter war, wurde einfach dazugerechnet. Wenn man sich dieses leicht spielerische Konkurrenzdenken der drei Gemeinden im Tal betrachtet, dann lässt einen das schon schmunzeln. Der Mann von der Gemeinde hat aber auch erklärt warum die Cumbre Vieja den Namen Cumbre Vieja hat, obwohl das doch der geologisch jüngere Teil ist. Die Erklärung, die die Historiker hier dafür haben, hängt nämlich mit den Wegen zusammen die über die Cumbre führen. Hier fällt einem als erstes der Camino Viejo in El Paso ein, der gegenüber vom Restaurant Cascada reingeht. Ursprünglich ging dieser alte Weg, nämlich auch über die jetzige Hauptstraße, dann Richtung Süden und da dann über die Cumbre. Der „Camino de Cumbre Nueva“, über den Reventon, also weiter im Norden, kam erst später.