Mit 30.000 Euro zur kollektiven seelischen Gesundheit

Wir sind die vorletzten auf den Kanaren. Wenn man bei uns operiert werden soll, also planmäßig und nicht akut, dann muss man geduldig sein.  168,35 Tage dauert es im Schnitt, bis der Chirurg das gewetzte Messer an den Patienten legt. Wobei es da Unterschiede gibt und Frauen ausnahmsweise sogar im Vorteil sind. Auf einen gynäkologischen Eingriff muss Frau im Schnitt 133,33 Tage warten, währen der Mann für den urologischen Eingriff mit 196,26 deutlich geduldiger sein muss. Die Geschichte ist ganz einfach, wir haben Fachkräftemangel. Das nicht nur auf LA Palma und auf den Kanaren, sondern im ganzen Land. Je ländlicher die Region aber ist, desto komplizierter ist die Geschichte mit dem Ärztemangel und deshalb ist unsere kleine Insel da arg weit hinten dran. Man macht gerade aber auch so einiges, damit das nicht besser wird. Um junge und hochqualifizierte Ärzte auf die Kanaren zu bekommen, sollte man denen für den Weinstieg eben nicht nur einen Zeitvertrag von 3 Monaten anbieten. Dabei fehlt es nicht nur an Personal, sondern auch an Maschinen. Die Wartezeit für eine Computertomographie beträgt über 200 Tage. Auf der anderen Seite muss man aber nicht auf alles warten. So gab es für ein MRT in 2023 gar keine Wartezeit. In der Summe sieht das dann mal gar nicht so feierlich aus, und Spanien hat ja vor gar nicht allzu langer Zeit für sich in Anspruch genommen, das beste öffentliche Gesundheitssystem der Welt zu haben. Da aber generell im die verschiedenen Regionen zuständig sind, fällt die Geschichte auch von Region zu Region unterschiedlich aus. In Madrid sieht das noch viel schlimmer aus als bei uns. Nicht weil da keine Ärzte hinwollen, sondern weil die Rechtskonservativen da einfach den neoliberalen Rotstift angesetzt haben und anstatt den öffentliche Gesundheitsbereich zu stärken, auf private Dienstleister gesetzt haben.

Kommen wir aber mal zurück auf die insulare Situation und die Besonderheiten. Hier auf La Palma hat man frühzeitig bemerkt, dass der Vulkan bei der betroffenen Bevölkerung nicht nur materiellen sondern auch seelischen Schaden angerichtet hat. Während des Ausbruchs waren auch etliche auswärtige Psychologen hier vor Ort, um den Betroffenen zur Seite zu stehen. Man hat da dann auch gleich Pläne geschmiedet, wie die ganze Geschichte weitergehen könnte und einkalkuliert, dass es im Laufe der Zeit etliche neue Kunden für den Mackendoktor geben wird. Man muss da ja nicht nur an das traumatische Erlebnis während des Ausbruchs denken, wo sich so manch einer anschauen musste, wie Haus und Hof gefressen wurden. Auch die Tatsache, dass im Nachgang an die Katastrophe nicht sofort alles wieder beim Alten sein wird, kann brutal belastend sein. Monate lang im Hotel oder Container zu leben und dann reicht die Kohle nicht für einen Neuanfang, weil die Immobilienpreise durch die Decke gegangen sind ist sicher nicht ganz einfach. Und was der eine lächelnd wegsteckt, verpackt der andere vielleicht gar nicht, weil die individuelle psychische Vulnerabilität, eben eine individuelle Sache ist. Aus meinem eigenen Umfeld kenne ich mehrere Personen, die seit dem Ausbruch zum Psychopharmakon greifen. Und im Prinzip wäre da dann ja mal eine Therapie angesagt. Nur haben wir hier eben gar nicht genügen Psychologen und Psychotherapeuten vor Ort und deshalb ist von den großen Plänen, die man mal hatte, gar nicht so viel übriggeblieben. Nun hat aber die Inselregierung ein neues Projekt verkündet. Gemeinsam mit dem Colegio Oficial de Psicología de Santa Cruz de Tenerife hat man ein Abkommen unterzeichnet, das die Entwicklung eines Projekts zur umfassenden Betreuung der psychischen Gesundheit der vom Ausbruch des Vulkans betroffenen Personen ermöglichen soll. Das hört sich dann schon mal ganz toll an und wenn es sich gut anhört, dann macht man daraus eine Pressemitteilung. Die Kohle dafür stammt aus einer Spende und es handelt sich um sage und schreibe € 30.000. Damit kann man dann bis Ende dieses Jahres Gruppentherapien und sogar vereinzelt Einzeltherapien abhalten um der “Gemeinschaft zu helfen Traumata zu überwinden und ein neues Leben auf zu bauen“. Man hat für die Entwicklung des Projektes sogar Fachleute und wird in den Gesundheitszentren Räume zur Gruppensitzung zur Verfügung stellen. Außerdem möchte man sich Lehrmaterial zur psychischen Gesundheit anschaffen, dass sich die Patienten dann durchlesen können. Letztlich wären eine intensive und individuelle Betreuung und Behandlung durch Psychologen, Psychiater und Therapeuten eine Geschichte die über die normale Sozialversicherung finanziert und auch bereitgestellt werden müsste. Nur fehlt es, ähnlich wie beim Urologen, eben an Fachkräften hier auf der Insel. Deshalb darf der Betroffene nun mal zur Gruppentherapie, aber nur bis Jahresende und dann sind die 30.000 Euro aufgebraucht. Der Rest steht dann wahrscheinlich in einer Broschüre. Und nein, es ist prima, dass überhaupt was aufgezogen wird. Nur sind wir hier eben weit unter den tatsächlichen Bedarf, und deshalb sollte man das nicht immer als großen Wurf verkaufen, sondern als das was es tatsächlich ist: Nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Lavastein. Wobei es ja gar nicht so sehr an Fachkräften zu mangeln scheint. Momentan wird auf der Insel wieder gecoacht was das Zeug hält, vor allem unter den Alemannen geht es da gewaltig ans Eingemachte und man kann sich seine Chakren aus- und wieder einrenken lassen. Streckenweise ist das amüsant und wenn es einem hilft, dann bitteschön. Manchmal kommen da aber Sachen raus, dass es dem Teufel graut. Ein pferdegestütztes Coaching mit tiefem Einblick in den Mayakalender, klingt für mein Verständnis schon lachhaft, sei aber geschenkt. Ein jeder so wie er will. Wenn dann aber damit geworben wird, dass man damit auf die Behandlung von Depressionen, also eine potentiell tödliche ernste Erkrankung, spezialisiert sei, dann hört der alternativmedizinische Spaß auf.