Friedliche Ferien

Die Familie ist gerade etwas aufgeregt. Am nächsten Dienstag kommt das Kind ins Haus. Wir haben, relativ spontan zugesagt und bekommen nun für 2 Monate einen kleinen Jungen, der bei uns wohnen soll. Die Geschichte ist aber nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. Insgesamt kommen in diesem Jahr 12 Kinder aus den Flüchtlingslagern um Tindouf nach La Palma, um bei einer Familie die Sommerferien zu verbringen. In ganz Spanien sind es ungefähr 3.000.  In den Lagern rund um die südalgerische Stadt Tindouf leben seit über 40 Jahren Flüchtlinge aus der Westsahara, die vor der marokkanischen Besatzung und dem Krieg zwischen der marokkanischen Armee und der Frente Polisario geflohen sind. Bei der Polisario handelt es sich um die Befreiungsbewegung der Westsaharauis, die sowohl militärisch, als auch verwaltungstechnisch aktiv ist und die bereits gegen die spanische Kolonialmacht gekämpft hat. Als die Spanier sich nach Franco aus der Westsahara zurückgezogen haben, sind direkt die Marokkaner in die Lücke gesprungen und sehen das als Teil eines marokkanischen Großreiches an. Dieser Anspruch, es geht wie immer um Rohstoffe (größtes natürliches Phosphatvorkommen), wird genau von zwei Ländern weltweit anerkannt. Donald Trump hat das in seinen letzten Wochen als Präsident getan. Als Gegenleistung hat Marokko diplomatische Beziehungen zu Israel versprochen, welches wiederum die Ansprüche anerkannt hat. Die Vereinten Nationen sehen das ganz anders. Per Resolution wurde beschlossen, dass in dem betroffenen Gebiet eine Volksabstimmung abgehalten werden soll. Hier soll die Bevölkerung gefragt werden, ob sie zu Marokko gehören möchte. Die wiederum schaffen Tatsachen, in dem sie aktiv Marokkaner dort ansiedelt und die Geflohenen in Südalgerien nicht zurück dürfen. Mittlerweile hat die Frente Polisario den Waffenstillstand aufgekündigt und geht erneut in den bewaffneten Kampf, zum einen, weil Marokko sich in Sachen Volksabstimmung nicht bewegt, und auch weil die UN zwar eine Resolution verabschiedet hat, ansonsten aber keinerlei Anstalten macht, dafür zu sorgen, dass diese auch umgesetzt wird. Die Rolle Spaniens ist dabei auch nicht ganz einfach. Eigentlich stand man stets an der Seite der Westsaharauis, auch weil man ganz gut weiß, dass man, ob des eigenen überstürzten Rückzuges, an der momentanen Situation eine gehörige Verantwortung trägt. Aber in den letzten Jahren hat man sich auch Marokko angenähert, auch weil diese die Migranten der Subsahara in Ceuta und Melilla ganz offen als Druckmittel benutzt haben. Da war dann zwischenzeitlich das Programm der „vacaciones en paz“ sogar auf der Kippe. Die Tradition, dass spanische Familien, über die Sommermonate Kinder aus den Lagern aufnehmen gibt es nun schon sehr lange. Ziel ist es, die Kinder für die Sommerferien aus der Wüste zu holen, da hat es gern mal 50 Grad. Die Familien in Spanien können damit ihr postkoloniales schlechtes Gewissen beruhigen und ganz häufig entsteht da dann eine Verbindung für immer. Nicht wenige der ehemaligen Feriengäste leben irgendwann in Spanien und studieren. Die Gastfamilien werden zu einer Art zweiter Eltern und die Kinder kommen mehrere Jahre über die Sommermonate. Irgendwann wird die Sache einfacher. Da fangen die dann an spanisch in der Schule zu lernen. In den ersten Jahren sprechen aber fast alle nur arabisch, mit dem entsprechenden Dialekt.

Da kommt nun wieder unsere persönliche Unsicherheit. Wir werden uns kaum verständigen können, aber meine Frau hat schon mal einen Übersetzer aufs Handy geladen. Das ist aber nicht alles. Wir reden von einem Kind von neuen Jahren, dass das erste Mal von zuhause weg ist, und in eine komplett andere Kultur kommt, die es nicht versteht. Komische Sachen muss man da beachten. Z.B., dass man die Matratze am besten auf den Boden legt, weil die Kinder keine Betten gewohnt sind, und das erhöhte Schlafen zu Problemen führen kann. Da kommt aber noch viel mehr, die können keinen Schritt alleine, zumindest am Anfang. Straßen gibt es dort nicht, Ampeln schon gar nicht. Vielleicht muss man dabei auch aufpassen, dass man den Jungen nicht überfordert. Supermärkte, wie den Dino, hat es nicht im Lager. Am Sonntag gibt es noch mal ein Treffen der Organisation und der Betreuerfamilien, und wir haben da doch noch einige Fragen.

Bei der ganzen Geschichte gibt es dann auch noch das Rahmenprogramm, dass organisiert wird. Eine Pizzeria auf der Insel lädt jedes Jahr sämtliche Familien ein, und es werden Ausflüge organisiert. Und dann gibt es noch die Fototermine mit der Politik auf dem Cabildo und den jeweiligen Rathäusern, wo die Kinder mit den Politikern in die Kamera lächeln sollen. Wobei diese Geschichte mit Presse und so weiter eben auch seinen Sinn hat, so bleibt die Situation in den Flüchtlingslagern wenigstens etwas präsent. Die Organisation läuft zwar über eine private Initiative, aber im spanischen Parlament wird jedes Jahr aufs Neue ein Gesetz verabschiedet, dass den Sonderaufenthalt der Kinder regelt. Die werden im Laufe ihres Aufenthalts ins Centro de Salud geschickt und komplett gecheckt. Auch ein Besuch beim Optiker und beim Zahnarzt steht an, und hier werden eben die Kosten übernommen.  Die jährliche Veröffentlichung der Regelung als BOE (Bolletin oficial de España) geschieht meist so im März und dann machen sich die Freiwilligen ans Werk die ganze Geschichte zu organisieren. Viele Familien freuen sich dann auf ein Wiedersehen mit den Gastkindern des Vorjahres, aber die Frischlingsfamilien sind entsprechend aufgeregt.

Vorgestern haben wir erfahren, wie unser Gast heißt und wie alt er ist. Gestern waren wir dann erstmal einkaufen und haben 2 T-Shirts, einige Unterhosen, Socken, eine Jogginghose und einen Pyjama gekauft. Die Kinder kommen ja nur mit dem, was sie am Leib tragen. Den ganzen Rest kaufen wir später. Vielleicht ist das Aussuchen eines eigenen paar Turnschuhe, am Ende sogar mit Markenlogo, etwas, das man den Kurzen selber machen lassen soll. Außerdem wissen wir weder Schuh- noch Körpergröße. Unabhängig von der Organisation, wie Zimmer herrichten wächst so langsam die Anspannung. Meine Kinder freuen sich auf das Gastgeschwisterchen, wobei meine Tochter lieber ein Mädchen gehabt hätte. Der große, der bereits mit dem Übersetzer von Muttern Schabernack betreibt, bekommt vorsorglich mitgeteilt, dass er unserem Gast, in seiner pubertären Überschwänglichkeit keinen Unsinn beibringen soll. Wobei wir da eigentlich recht großes Vertrauen haben. Der kann sehr gut mit jüngeren Kindern und die auch mit ihm. Insgesamt glauben wir, dass das ganz gut klappen wird und wir freuen uns auch. Allerdings ist es noch nicht hundertprozentig sicher, dass auch alle Kinder mitkommen. Das wurde uns zumindest gestern noch mitgeteilt. Sollte eines der Kinder krank werden, oder sich kurzfristig aus Furcht oder Überforderung entscheiden die Weltreise Tinduf – Algier- Madrid -Teneriffa – La Palma (alles an einem Tag) doch nicht anzutreten, dann hat man die paar Klamotten eben umsonst gekauft. Im Normalfall kommen aber fast alle. Jeder kennt jemand, der in den letzten Jahren schon einmal den Sommer in Spanien verbracht hat, und daher wissen die meisten auch, dass nichts Schlimmes passieren wird.